Philipp Preuss und der schottische Loop: Eine Einführung
MACBETH entstand 1606 als eine der kürzesten Tragödien William Shakespeares. Der Regisseur Philipp Preuss hat einen ganz eigenen Blick und Zugriff auf das Stück, der von den mittelalterlichen Zeiten König Macbeths bis ins Heute reicht. Eine Einführung von Dramaturg Sascha Kölzow.
Wie fast immer im Theater (bei Shakespeare, Schiller und bis heute) schrieb auch William Shakespeare nicht faktentreu, sondern als Kommentar auf die Entstehungszeit - in diesem Fall das jakobinische Zeitalter, benannt nach König Jakob I. Die Handlung von Macbeth, wie William Shakespeare ihn schrieb, solltet ihr euch - falls ihr sie nicht eh schon parat habt - noch einmal kurz ins Gedächtnis rufen. Hierbei hilft Michael Sommers wundervolle Videoserie, die den Klassiker in Kurzform mit Hilfe von Spielfiguren erläutert:
Für MACBETH am Staatstheater Nürnberg hat der 1974 geborene Regisseur Philipp Preuss eine Konzeption und auch eine eigene Fassung entwickelt, die sich sehr stark auf die inneren Vorgänge des Ehepaars Macbeth konzentriert. Gleichzeitig macht er deutlich, wie die grausame Gewaltlogik, der die beiden folgen, alle anderen Figuren (oder jeden Menschen) ebenso erfassen kann und wie diese Mechanismen durch die Geschichte und alle Zeiten hindurch das Menschsein prägen.
Dafür hat er eine sehr radikale Entscheidung getroffen: Während Shakespeare auch eine Gewalt-SPIRALE erzählt, in der jeder Mord und dessen Auswirkungen tragisch-zwanghaft in den nächsten führen bis schließlich auch Macbeth selbst getötet wird, kehren wir bei uns immer wieder zum ersten, entscheidenden Mord an König Duncan zurück.
„Ich habe die Tat getan“ heißt es.
Es ist die eine Tat, der man nicht mehr entfliehen kann, durch die man keinen Schlaf mehr findet bis zum endgültigen, dem Tod. Und so kehren wir in Variationen immer wieder zum Anfang, zu den Prophezeihungen der Hexen zurück und müssen den Königsmord erneut durchleben. Doch nun hat sich der bisherige Banquo (der ja von den Hexen ebenfalls eine verlockende Prophezeiung erhalten hatte) in einen neuen Macbeth verwandelt. Der bisherige Macbeth, soeben selbst König geworden, ist nun König Duncan und wer zuvor tot war steigt als Banquo neu ins Spiel ein.
In jeder Runde in einer anderen Zeit: mit Ramallah Sara Aubrechts Kostümen gehen wir vom Mittelalter bis nah ans Heute und schließlich ins Unbestimmte. Und nicht nur dadurch ist jeder Macbeth, jeder Banquo und jeder Duncan ein anderer: Jede*r Schauspieler*in leuchtet andere Aspekte der Persönlichkeiten, Motivationen und dem Umgang mit den Konsequenzen der Tat aus.
Einzig Lady Macbeth bleibt mit Lisa Mies dieselbe. Denn es geht nicht darum mit ständiger Wiederholung zu nerven, sondern es entsteht ein Sog. Und irgendwann erst merken wir, dass wir mit der Lady immer wieder die Tat durchleben müssen, die sie angestiftet hat. Bei Shakespeare sehen wir sie eine ganze Weile gar nicht und dann nur kurz vor ihrem Selbstmord, psychisch bereits zerrüttet. Hier folgen wir ihr auf dem Weg in Verzweiflung, Schuld, Angst und Wahn. Stück für Stück tauchen nun doch auch weitere Fetzen aus Shakespeares Handlung auf: Das erste Fest mit Duncan auf Macbeths Schloss vermischt sich mit dem späteren, in dem Banquos Geist erscheint. Und am Ende übernimmt jemand ganz allein das Spiel, eine Figur, die es so bei Shakespeare gar nicht gibt, aber die Philipp Preuss sozusagen aus dem Macbeth-Text heraus hinzuerschaffen hat: ein Narr.
Im 5. Akt heißt es bei Shakespeare, das Leben sei nichts als ein Märchen, "a tale told by an idiot, full of sound and fury". Und zwischen dem Mord an Duncan und der Entdeckung des Toten tritt ein Pförtner auf, der zwischen Suff und Kater über die Höllenpforte, aber auch die sexuellen Folgen des Suffs schwadroniert. Aus diesen beiden Inspirationen ist Sascha Tuxhorns Rolle entstanden, den sie als innere Stimme, Einflüsterer und Narren erleben werden und der am Ende des Abends die Geschichteganz allein zu Ende erzählt. Vielleicht ist all das wirklich nur seine Kopfgeburt gewesen, a tale full of sound and fury, das nichts bedeutet. Oder aber der Narr hält uns, wie es ganz klassisch seine Aufgabe ist, den Spiegel vor: Wir alle kommen als Menschen eben nie aus den gewalttätigen Mechanismen heraus, die – wie Philipp Preuss sagte – mit zivilisatorischen Pflastern nur mühsam und temporär überdeckt werden konnten.
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