Opern-Interim in der Kongresshalle
„Ein andauernder Anti-Reichsparteitag“ – Im Interview mit Olaf Przybilla von der Süddeutschen Zeitung spricht Staatsintendant Jens-Daniel Herzog über den geplanten Umzug des Musiktheaters auf das ehemalige Reichsparteitagsgelände. Wagner-Inszenierungen in der Kongresshalle? Für Herzog ist das nach dem Opernumzug unumgänglich. In „Vergangenheitsbewältigung eingraben“ werde man sich aber nicht. Ein Gespräch über Gespenster der Vergangenheit und die Macht von Humor.
NÜRNBERG – Jens-Daniel Herzog ist seit der Spielzeit 2018/19 Staatsintendant und Operndirektor des Staatstheaters Nürnberg. 2025 wird er verantwortlich sein für eines der größten Kulturprojekte in der Nachkriegsgeschichte der Stadt: den interimistischen Umzug des Hauses auf das ehemalige NS-Reichsparteitagsgelände und die Sanierung des alten Opernhauses aus dem Jahr 1905.
SZ: Herr Herzog, mehr als 650 Theatermitarbeiter*innen sollen 2025 in eine riesige NS-Immobilie ziehen. Finden die das eigentlich gut?
JENS-DANIEL HERZOG: Ja. Sowohl der Personalrat als auch das Orchester des Staatstheaters haben sich vor der Stadtratsentscheidung aktiv und öffentlich für diesen Umzug eingesetzt. Der Stadtrat hatte und hat also eine ganz eindeutige Unterstützung aus dem Theater.
SZ: Voraussichtlich zehn Jahre in einem NS Monsterbau – muss man schon mögen, sagt mancher.
JDH: Schlechter kann es für uns eigentlich nicht werden: Wir im Opernhaus sind ja nicht gerade verwöhnt, was die Arbeitsbedingungen angeht. Ich erinnere gerne daran, dass wir umziehen müssen, weil der Arbeitsschutz und die rechtlichen Bedingungen nicht mehr gewährleistet sind. Die Betriebsgenehmigung des Hauses läuft unwiderruflich 2025 aus. Außerdem: Sich umzuziehen und einzuspielen für die Vorstellung, das hat mitunter auf einem Flur stattzufinden – attraktives Arbeiten sieht anders aus. Dass es aber für den Umzug natürlich Kraft und Mut braucht, ist jedem klar.
SZ: Das Problem mit dem Brandschutz war seit Jahren bekannt. Hat die Stadt das vertrödelt, so dass plötzlich extreme Eile geboten war?
JDH: Dass das Haus nur noch kurz bespielbar ist und nur unter der Voraussetzung, dass es saniert wird, war allen bekannt. Wir haben das immer wieder angesprochen. Dass die Prozesse länger gedauert haben, ist bedauerlich. Dieser Zeitdruck hätte nicht entstehen müssen, aber entscheidend ist, dass die Dinge jetzt zügig angegangen werden.
SZ: Der erste Spielplan auf dem ehemaligen NS-Reichsparteitagsgelände: Werden Sie da nicht völliges Neuland betreten müssen?
JDH: Nein, definitiv nicht. Wir setzen uns ja jetzt schon intensiv mit Nürnbergs Geschichte auseinander, gehen da keiner schwierigen Frage aus dem Weg. Aber wir werden uns auf diesem Gelände nicht in der Vergangenheitsbewältigung eingraben. Wir möchten, dass dieser Ort entweiht wird. Und dass er seine falsche Heiligkeit verliert.
SZ: Wie macht man das?
JDH: Wir werden unsere Arbeit als permanenten Exorzismus verstehen, einen andauernden Anti-Reichsparteitag. Das wird ganz viel mit Humor zu tun haben. Denn Humor ist etwas, was die Nazis nicht hatten – und was Ideologen nie haben. Humor ist anarchisch, das werden wir nutzen, werden es dabei aber nicht an Respekt dem Gebäude gegenüber fehlen lassen. Aber auch nicht an Respektlosigkeit. Ich habe kürzlich genau darüber mit Barrie Kosky gesprochen.
SZ: Der Mann, der die „Meistersinger“ in Bayreuth bahnbrechend inszeniert hat.
JDH: Genau. Er sagt: Ihr müsst die Menschlichkeit gegen die Steine setzen. Lachende und musizierende Menschen an diesem Ort – es gibt kein größeres Symbol, dass Hitler besiegt worden ist. Davon werden wir getragen sein. Und deshalb wollen wir dahin.
SZ: Soll man auf diesem Gelände Wagner spielen?
JDH: Natürlich müssen wir da Wagner spielen! Ein großes Opernhaus, das zehn Jahre keinen Wagner spielt, wäre ja lächerlich. Wir stellen dessen Werke ja nicht auf einen Sockel. Das ist Material, das wir durchdringen und zu unserer Sache machen. Die Vorstellung, wir würden mit heiligen Wagner-Weihe-Spielen die Nazis wiederauferstehen lassen, ist absurd und abwegig.
SZ: Werden Sie auch die „Meistersinger“ spielen? Die Reichsparteitage wurden mit den „Meistersingern“ im Nürnberger Opernhaus eröffnet.
JDH: Das ist doch immer die Herausforderung: Wie macht man die „Meistersinger“? In unserer letzten Meistersinger-Inszenierung am Haus haben wir uns genau mit der von Ihnen angesprochenen Rezeptionsgeschichte auseinandergesetzt. Natürlich muss man das. In dieser Oper geht es schließlich um die Auseinandersetzung der beharrenden mit den nach vorne strebenden Kräften. Also „Es soll alles bleiben, wie es ist“ gegen „Schafft Neues“. Diesen Widerstreit kann man aller Folklore und Butzenscheibenseligkeit berauben.
SZ: Und die leichte Muse? Manchen graut es vor Lehár, Offenbach, Suppé unter solchen architektonischen Vorzeichen.
JDH: Wieso? Wir haben in meiner Intendanz bereits zwei Werke von Paul Abraham auf die Bühne gebracht. Die meisten der Librettisten und Komponisten von Operetten in der Weimarer Republik waren jüdischer Herkunft, dafür steht Abraham. Inzwischen arbeitet die Musikwissenschaft das anarchische und schräge Potenzial dieser Arbeiten immer deutlicher heraus. Wenn wir uns gezielt auf diesen Geist der Satire, der Frechheit, auch der Herrschaftskritik in diesen Operetten konzentrieren, dann sind wir genau auf dem richtigen Weg.
SZ: Viele drängt auch die Skepsis: Zieht der Nürnberger „Opernball“ auch mit um auf dieses Gelände?
JDH: Wir richten den Opernball nicht aus. Das ist längst ein privatwirtschaftliches Event. Aber noch wichtiger: Dieses Framing vom sekttrinkenden Opernpublikum, das sich an einem Täter-Ort Kanapees schmecken lässt – dazu kann ich nur sagen: Mich nervt dieses Bild. Es ist total polemisch; und hat mit der Wirklichkeit unserer Arbeit und unseres Publikums gar nichts zu tun. Wir machen längst schon Theater, bei dem sich die Nazis im Grabe herumdrehen würden: Es ist kritisch, es ist zeitgenössisch. Wir zeigen Stücke, die Nazis ganz sicher nicht sehen wollen. Und die, die die Nazis wollten, zeigen wir so, wie sie sie ganz sicher nicht hätten sehen wollen. Die Gespenster der Vergangenheit? Die müssen mehr Angst haben vor uns – als wir vor ihnen.
SZ: Auch diese Skepsis ist zu hören: Oper arbeitet oft mit den Mitteln der Überwältigung – ist das nicht exakt das Mittel zum Zweck, das sich die Nazis auf diesem Gelände anzueignen versucht haben?
JDH: Allein solche Fragen zu diskutieren, ist ein Riesengewinn. Leider verengt sich die Kritik zu oft auf eine lautstarke Minderheit von Bedenkenträgern, die immer ganz genau wissen, was alles nicht geht. Konstruktive Vorschläge – Fehlanzeige. Wenn wir in dieser städtischen Brachlandschaft dagegen Kunst und Musik machen, tanzen, singen und feiern – dann triumphieren wir über die Nazis. Wir als Teil einer demokratischen Stadtgesellschaft inszenieren Musik anders. Wir instrumentalisieren nicht und wir lassen uns nicht instrumentalisieren. Gerade an diesem Ort.
SZ: Wohin die Aufführungshalle soll, ist offen. Haben Sie eine Präferenz?
JDH: Wir gehen da völlig offen rein, das ist ein Detail. Wir wollen spielen und wir werden spielen.
SZ: Fürchten Sie eine Konfrontation mit Leuten, die sich auf den Denkmalschutz berufen?
JDH: Bei jeder Infrastrukturmaßnahme gibt es Bedenkenträger. Die kritische Stellungnahme von der Denkmalschutzbehörde hat mich überhaupt nicht verunsichert. Ich bitte Sie: Es ist doch der Job der Denkmalschützer, das was da ist, erstmal unverändert zu erhalten. In einer gesunden Gesellschaft gibt es eine Debatte zwischen Bewahrern und Leuten, die vorangehen wollen. Aus solchen Debatten entstehen gute Lösungen.
SZ: 2025 dürfte Ihnen die internationale Opernwelt, mindestens die Opernwelt, für eine Zeitlang bei der Arbeit zuschauen. Aber der Umzug geschieht ja, um das Stammhaus zu sanieren. Dafür tragen Sie ebenfalls die Verantwortung. Zwei im Wortsinne Riesenbaustellen. Keine Angst vor schlaflosen Nächten?
JDH: Keineswegs! Es ist doch eine großartige Aufgabe, wenn man sich als Intendant und Operndirektor Gedanken über das Theater der Zukunft machen kann – und dabei Teil eines Generationenprojektes sein darf. Als ich mich 2016 für Nürnberg entschieden habe, war mir klar, was mir bevorsteht. Was die Schlaflosigkeit betrifft: Ein Theaterdirektor, der mit der wichtigsten Währung des Theaters – Aufmerksamkeit – nicht umgehen kann, der hat seinen Beruf verfehlt. Ich freue mich auf diesen internationalen Fokus.
SZ: Ihr Vertrag läuft bis 2031, für einen Theatermann nahezu undenkbar lang. Trotzdem werden Sie die Rückkehr ins sanierte Haus – als Intendant – nicht erleben. Schade, oder?
JDH: Das war mir von vornherein klar. Die Länge meines Vertrags war und ist Programm, um meinem Wort im politischen Prozess des Umzugs ein Gewicht verleihen zu können. Es geht einfach ums Wohl des Staatstheaters – nicht mehr und nicht weniger. Wenn das sanierte Haus irgendwann wieder öffnet und ich womöglich eine freundliche Einladung dazu bekomme, dann hätte ich wohl vieles ganz richtig gemacht.
© Süddeutsche Zeitung GmbH, München. Mit freundlicher Genehmigung von Süddeutsche Zeitung Content.
Passend dazu:
Nach oben