Staatstheater Nürnberg

Im Detail: Mythos P.A.N.

Eine Stückentwicklung von Konstantin Küspert, Fabian Schmidtlein und Roman Senkl

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ZUM STÜCK

„Mythos P.A.N.“ ist die erste Inszenierung im neueröffneten „Extended Reality Theater“ in der 3. Etage. Drei Menschen versuchen darin, die geheimnisvolle Geschichte um den verschwundenen Theatermacher und Digitalpionier Paul Anton Neurath zu entschlüsseln und vor allem: Sie versuchen ihn von den Toten zurückzuholen. Kann man einen Menschen mit digitalen Mitteln rekreieren? Und wie findet man in postfaktischen Zeiten so etwas wie Wahrheit? Diese Fragen stehen im Zentrum des Stücks. Die Geschichte ist aber auch ein Vehikel, der Abend ist eine Laborinszenierung, die die Technologie, die im XRT verbaut ist, erstmals erprobt und vorstellt. Hier wird sichtbar, was in den nächsten Jahren vertieft, perfektioniert und weiterentwickelt werden kann.

Vertiefen soll auch diese Seite im Digitalen Fundus. Hier finden Sie mehr zu den verwendeten Technologien und den Themen des Stücks.


MythosPAN c KonradFersterer 0708Foto: Konrad Fersterer

DIGITALE UNSTERBLICHKEIT

Die Idee, Menschen mithilfe von Computern zu kopieren und damit unsterblich zu machen, ist so alt, wie der Computer selbst. Schon Alan Turing, der als einer der einflussreichsten Theoretiker der frühen Computerentwicklung gilt, ging davon aus, dass dies möglich ist. Ray Kurzweil, Zukunftsforscher und Leiter der technischen Entwicklung bei Google, sammelt seit Jahren Objekte, Fotos und Ähnliches von seinem Vater und ist davon überzeugt, ihn eines Tages mit Code rekreieren zu können. Und tatsächlich gibt es erste Firmen, die versprechen, dass wir mit unseren verstorbenen Liebsten in Kontakt bleiben können. Eine Koreanische TV-Show hat eine Mutter in einer VR-Umgebung mit einer Kopie ihrer toten Tochter zusammengebracht. Einige Videoausschnitte davon kann man hier sehen.

Wir empfehlen zum Thema außerdem diesen Artikel im Magazin „Science Notes“.


MythosPAN c KonradFersterer 0819Foto: Konrad Fersterer

WORIN LIEGT DER MENSCH?

Um einen Menschen digital kopieren zu können muss man wissen: Was ist der Mensch? Was macht ihn aus? Sein Körper und seine Bewegungen? Seine Idee und Gedanken? Seine Gefühle? Wenn wir unser Selbst abbilden wollen, müssen wir es irgendwie lokalisieren.

Einen kurzen und verständlichen Einblick in diese Fragestellung gibt dieser Artikel.

Der Philosoph Thomas Metzinger vertritt die Theorie, dass unser Selbst nicht existiert. Mittels Virtual Reality versetzt er Menschen in die Körper anderer, um das zu belegen. In einem interessanten Interview spricht er außerdem über die Idee digitaler Unsterblichkeit – die er für völligen Unsinn hält. Auch diese Perspektive gibt es also.


MythosPAN c KonradFersterer 1055Foto: Konrad Fersterer

WAS IST NOCHMAL WIRKLICHKEIT?

Oft wird gesagt, wir lebten in sogenannten „postfaktischen Zeiten“. Diese Bezeichnung baut auf der Unterscheidung zwischen einer faktischen Realität und einer Fiktion auf. Und natürlich gibt es diese Unterscheidung. Aber sie erodiert. Der Begriff „alternative Fakten“ zeigt das eigentliche Problem auf, nämlich, dass es zunehmend schwierig wird, sich auf eine Realität, eine Wahrheit zu einigen. Was wahr ist, scheint plötzlich vom Standpunkt des Betrachters abzuhängen.

Die Technik schien der Wahrheitsfindung lange Zeit zu dienen. Man konnte messen was wahr ist. Was auf einem Foto festgehalten worden war, war so passiert. Aber gerade die Technik ist heute manipulierbar. Fotos sind einfach zu fälschen. Diese Seite zum Beispiel generiert realistische Fotos von Menschen, die es nicht gibt. Aber auch Video und Stimme können, wie man hier sieht, mittels sogenannter Deepfakes, gefälscht werden. Dazu kommt, dass Algorithmen uns mit dem konfrontieren, was wir sehen und hören wollen. Wir können mit einer künstlichen Intelligenz reden, aber sie kann nur auf Basis der Informationen antworten, die sie von uns bekommen hat. Die Technik ist also alles andere als Objektiv, sie verunsichert vielmehr und konfrontiert uns ständig mit unseren eigenen Projektionen.

Aber gibt es überhaupt sowas wie eine eindeutige Wirklichkeit? Oder sind wir nicht sowieso ständig dabei, aus dem, was unsere Sinne an Splittern und Fragmenten einfangen, die wahrscheinlichste Variante der Wirklichkeit zusammenzubauen – gar nicht unähnlich einer künstlichen Intelligenz?

Für eine vertiefte Auseinandersetzung mit der philosophischen Dimension dieser Fragestellung empfehlen wir diesen Podcast mit dem Philosophen Dirk Baecker.


MythosPAN c KonradFersterer 0505Foto: Konrad Fersterer

DIE TECHNOLOGIEN

Eine besondere Technik, die zum Einsatz kommt, ist ein Bewegungs- und Gesichtstracking. Beides wird im Film bereits eingesetzt, um computergenerierten Figuren eine natürliche Körperlichkeit und Mimik zu verleihen und sie zu beleben. Dabei werden die Bewegungen erst aufgezeichnet und dann auf die digitale Figur übertragen. Was im Film mit einer aufwändigen Postproduktion einhergeht, sollte im Theater live und in Echtzeit passieren. Sonst müssten die Schauspieler*innen immer einem Video hinterherspielen. Im XRT ist genau das möglich: Die Interaktion zwischen einer Schauspielerin und einem Avatar ist hier genauso einmalig und besonders, entsteht genauso im Moment, wie wir es sonst gewohnt sind, wenn zwei Menschen aus Fleisch und Blut miteinander spielen.

Eine weitere Technik, die wir hier ausprobieren hat zuletzt weite Kreise gezogen: ChatGPT, eine künstliche Intelligenz, die darauf ausgelegt ist, Texte zu verfassen. Wenn man sie mit genügend Infos füttert, kann sie, wie in einem Rollenspiel, als eine bestimmte Figur antworten. Und das jeden Abend neu. Durch eine Spracheingabe, wie sie mittlerweile jedes Handy hat, kann ein Dialog entstehen zwischen Figuren, die die Schauspieler*innen spielen und Figuren, die die KI spielt.

Die sogenannte „Virtual Production“ ermöglicht es, live und in Echtzeit digitale Räume zu filmen. Die Position der Kamera im realen Raum wird durch Lichtpunkte ermittelt und mit einer virtuellen Kamera in einem virtuellen Raum synchronisiert. Wenn ich also die Kamera an die Decke richte, filmt sie die Decke des virtuellen Raums. Es ist – auch wenn das bei dieser Produktion noch nicht passiert – möglich, das Bild, das die reale Kamera filmt, mit dem Bild, das die virtuelle Kamera filmt, zu verschmelzen. So können Schauspieler*innen in einem digitalen Bühnenbild spielen – und auch das wieder ohne eine nachträgliche Bearbeitung, sondern wie wir es vom Theater gewohnt sind: im Moment.

Und schließlich kommt auch noch eine KI zum Einsatz, die auf Anweisung hin fotorealistische Bilder entstehen lässt – auch das wieder live und jeden Abend neu.


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