Im Detail: Don Quijote
von Jakob Nolte nach Miguel de Cervantes Saavedra
Aufführungsdauer: 1 Stunde 30 Minuten, keine Pause
Die Geschichte von Alonso Quijano, der so viele Ritterromane gelesen hat, dass er sich selbst für den Ritter Don Quijote hält und mit seinem Knappen Sancho Panza in die Welt auszieht, um Abenteuer zu erleben, die nicht unbedingt der Wirklichkeit entsprechen, ist weltbekannt. Er kämpft gegen Windmühlen, die er für Riesen hält, lässt sich von einem Schankwirt zum Ritter schlagen oder sieht in einer Hammelherde ein riesiges Heer auf sich zukommen.
Die Auseinandersetzung mit dem Spiel der Illusion zwischen Selbstbetrug, Wahnsinn und maximaler Freiheit hat seit über 400 Jahren unzählige Menschen inspiriert. Von Friedrich Nietzsche über Fjodor Dostojewski, Thomas Mann oder Erich Kästner bis hin zu Filmregisseuren wie Orson Welles und Terry Gilliam – alle haben sie sich mit Don Quijote beschäftigt. Über alle Altersklassen und Gesellschaftsschichten, Sparten, Kunst- und Unterhaltungsformen hinweg begegnen wir den beiden Helden und ihren Abenteuern bis heute. Don Quijotes berühmtesten Kampf, in dem er gegen eine Windmühle anstürmt, ist sogar zur Redensart geworden und Sinnbild eines hoffnungslosen, wahnhaften Unterfangens.
Miguel de Cervantes veröffentlicht den ersten Teil der Geschichte dieser beiden Helden 1605 und nachdem dieser ein riesiger Erfolg wird, folgt 1615 der zweite Teil. Cervantes schafft nicht nur einen Welterfolg, sondern auch den Grundstein eines Mythos’ und den ersten modernen Roman. Bemerkenswert ist neben der Verwendung von Anachronismen und einer Mischung verschiedenster Genres, dass im zweiten Teil ganz offen sowohl dem Publikum als auch den Protagonisten im Roman selbst erzählt wird, dass ihre Geschichte unter dem Titel 'Der geistvolle Hidalgo Don Quijote von der Mancha' bereits veröffentlicht ist und die beiden Helden berühmt sind. Dabei betreibt Cervantes ein gewitztes Spiel mit der Autorschaft, denn im Roman wird behauptet, die Geschichte sei von dem arabischen Historiker Cide Hamete Benengeli geschrieben worden. So kann Cervantes augenzwinkernd seine eigene Autorschaft in Frage stellen und suggeriert damit eine historische Existenz der beiden Helden. Auf dieser Metaebene ergibt sich also erneut die Frage, was Fiktion und was Wirklichkeit ist.
Modern geblieben ist Don Quijote laut der Hörfunkjournalistin Margrit Klingler-Clavijo, „weil die Parabel des Romans zum ersten Mal in der Geschichte der Literatur in die imaginären Innenwelten eines Menschen hineingeleuchtet hat, in die Welt jener phantastischen, auch tragisch-komischen Verrücktheiten, in denen Menschen ihr Leben erfinden und sich eine Wirklichkeit zu geben versuchen.“
Auch in der Inszenierung von Janning Kahnert kämpft Don Quijote (Thomas Nunner) mit seinem Verhältnis zur Welt, der Realität und sich selbst. Jedoch hat er sich, enttäuscht von der Welt „da draußen“, die eben nicht mehr so ist wie in seinen Büchern und seiner Vorstellung der „guten alten Zeit“, zurückgezogen und sich mit seinem „Knappen“ Sancho Panza (Maximilian Pulst) seine ganz eigene Welt gebaut.
In dieser Welt kann man Abenteuer erleben und sich noch an richtigen Tugenden, dem Anschmachten der Geliebten aus der Ferne und angreifenden Riesen abarbeiten. Während sich der alternde Held immer mehr nach innen wendet, sieht sich der junge Sancho Panza immer mehr gefangen in der Welt, die ihm ein anderer vorgibt, und strebt nach der Welt „da draußen“.
Die ganz unterschiedliche Art der beiden Helden, auf das Leben zu blicken und die eigene Sicht mit der des Gegenübers oder der sogenannten Realität abzugleichen, ist aber wie bei Cervantes eben nicht immer logisch oder eindeutig in Fantasie oder Realität einzuordnen. Wer kann schon sagen, was wirklich real und was selbstimaginiert ist?
INTERVIEW JANNING KAHNERT
Produktionsdramaturgin Veronika Firmenich im Gespräch mit Regisseur Janning Kahnert.
VF: Mit Don Quijote gibst du dein Regiedebüt am Staatstheater Nürnberg. Was hat Dich an diesem Klassiker, diesen beiden berühmten Figuren so interessiert, dass du ihn dafür ausgewählt hast?
JK: Dieser berühmte große Stoff kann alles sein. Bei Cervantes zieht ein Mann bekanntlich in die Welt hinaus und prallt - im Wortsinn - auf die Realität. Er hält sich für einen Helden und sieht alles durch diese Brille. Aber er wird dabei begleitet von seinem Freund, der diese Brille nicht aufhat. Das fanden wir von Anfang an spannend: die Möglichkeit, mit diesen zwei sehr unterschiedlichen Figuren in einem geschlossenen Theaterraum zwei Perspektiven auf die Welt zu erleben.
VF: Was ist das Spannende an der Figur des Don Quijote?
JK: Quijote hat freiwillig seinen Radius begrenzt, hat dem Draußen abgeschworen, das er für verroht hält. Er verreist sozusagen nur noch innerlich. Sein Selbstbild als Ritter trägt ihn durch den Tag, und es geht ihm eigentlich auch gut damit, wäre da nicht die Bedrohung völlig zu vereinsamen.
VF: Und Sancho Panza?
JK: Sancho wiederum begleitet ihn schon länger darin, stellt aber zunehmend diese kleine Welt infrage, möchte seine Abhängigkeit loswerden, sein eigenes Leben führen.
Der Konflikt ist also vorprogrammiert. Insofern ist es auch eine Geschichte über das Älterwerden auf der einen und das Emanzipieren auf der anderen Seite.
VF: In deiner Inszenierung erleben Don Quijote und Sancho Panza ihre Abenteuer nicht in der Konfrontation mit der Welt, in die sie ausziehen, sondern die beiden leben zurückgezogen und von der Welt abgeschottet. Wieso hast du dich für dieses Setting entschieden?
JK: Ich finde diese Verdichtung sehr spannend. Es geht uns darum, wie die beiden ihre Abenteuer verbuchen und was sie aus ihnen ziehen, mehr noch als um die Abenteuer selbst. Wir wollen herausstellen, was Quijote da eigentlich tut. Denn das tun wir ein Stück weit alle. Wie viel Realität lasse ich zu? Wie viel ist zu bedrohlich oder schädlich für mich? Und wie steht es wirklich um meine Neugier auf die Welt? Der Aufbruch ins Unbekannte birgt ja immer die Gefahr, enttäuscht zu werden; im eigenen Kämmerlein sind wir alle Held*innen…
Außerdem ermöglicht dieses Setting, sich in einem geschlossenen Kammerspiel auf zwei glänzende Darsteller konzentrieren zu können, reines Schauspielertheater ohne große Ablenkung. Das gefällt mir immer, ob als Schauspieler, Regisseur oder Zuschauer.
VF: Warum ist diese Geschichte nach über 400 Jahren immer noch erzählenswert?
JK: Wir begegnen alle der Welt, und wir entscheiden immer auch, was wir wahrnehmen. Und dann erzählen wir davon, anderen und uns selbst. Es gibt nichts Grundsätzlicheres. Das Geschichtenerzählen macht uns zu Menschen. Ich glaube, dass wir deshalb diesen Stoff heute immer noch kennen.
VF: Was erzählt Don Quijote über unsere Welt heute?
JK: Da gibt es vielerlei. Die Vereinsamung ist ein dringendes Thema, gerade auch mit zunehmendem Alter. Wie gehen wir mit den älteren Generationen um? Und dann nehme ich die Fragmentierung der Wirklichkeit, unsere individuellen Wahrnehmungsblasen als große Bedrohung für unseren gesellschaftlichen Zusammenhalt wahr. Denn die Schwierigkeiten, vor denen wir heute gemeinsam stehen, sind riesig. Eine Bewältigung scheitert aber nicht am Mangel an Lösungen oder an irgendwelchen Detailfragen, sondern an einem Konsens darüber, was überhaupt der Fall ist.
VF: Für dich stand mit dieser Inszenierung ein Perspektivwechsel an: Du bist von der Rolle des Spielenden in die Rolle des Regisseurs gewechselt.
Sancho Panza ist zu Beginn jemand, der die Fantasie einer anderen Person lebendig werden lässt, einer vorgegebenen Handlung folgt und sich mit vollem Körpereinsatz in sie hineinbegibt. Doch er beginnt die Erzählung und den Erzählenden zu hinterfragen und sein Wunsch wächst, seine eigene Geschichte zu erzählen.
Gab es bei dir ähnliche Motive?
JK: Hm, stimmt. Die Frage "Welche Geschichte möchte ich erzählen?" ist eine ziemlich andere als die Frage "Wie möchte ich eine Figur gestalten, die in eine Geschichte eingebettet ist?“. Als Schauspieler stehe ich als Mensch vor Publikum, aber im Schutz der Rolle. Als Regisseur habe ich beides nicht. In gewisser Weise wage also auch ich - so wie Sancho - einen Ausbruch aus der vertrauten Fiktion. Das ist eine spannende Herausforderung und neu für mich. So wie dieses Interview.
Regie: Janning Kahnert
Mitarbeit Bühne: Sabine Mäder / Kostüm: Anne Buffetrille, Lara Regula / Mitarbeit Kostüm: Anne Buffetrille, Lara Regula / Dramaturgie: Veronika Firmenich / Musik: Andrej Agranovski / Licht-Design: Norbert Böhringer, Nils Riefstahl
Don Quijote: Thomas Nunner / Sancho Panza: Maximilian Pulst
Regieassistenz, Abendspielleitung und Soufflage: Malika Scheller / Werkstudentin: Sophia Czerwinski / Freiwilliges kulturelles Jahr: Sabrina Haas, Paula Hayduk
Aufführungsrechte: S. Fischer Verlag, Frankfurt am Main
Zur Veranstaltungsseite Don Quijote
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