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Im Detail: Das Abschiedsdinner
Komödie von Matthieu Delaporte und Alexandre de la Patellière, deutsch von Georg Holzer
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Aufführungsdauer: 1 Stunde 15 Minuten, keine Pause
ZUM STÜCK
Dem Ehepaar Clothilde und Pierre fehlt es scheinbar an nichts: Sie haben zwei Kinder, eine beständige Ehe und ansehnliche Jobs. Nur von einem gibt es stets zu wenig – Zeit. Und dann gibt es auch noch jene Freundschaften, die das Paar nerven, anöden, stören. Eben diese Freund*innen aus alten Zeiten, mit denen sie heute kaum mehr etwas verbindet und die über das Jahr hinweg ganze 35% der gemeinsamen Abende des Paars „verputzen“. Abende, die in zähen Gesprächen enden, die niemandem so richtig Freude bereiten. Um diese wertvolle „verfügbare Zeit für Freund*innen“ besser zu verteilen, versuchen Clothilde und Pierre etwas Neues, den „Freundschafts-Schutzschirm: das Abschiedsdinner“. Sie planen einen unvergesslichen Abend mit gutem Wein, der perfekten Musik und der Leibspeise der Gäste. So wollen sie ihre Freundschaft zu Bea und Antoine in Würde beenden, um Raum für neue, erfrischende Freundschaften zu schaffen. Allerdings geschieht das alles, ohne dass die geladenen Gäste wissen, dass es sich um ein letztes Treffen handeln wird.
Doch der Abend eskaliert: Denn der geladene Gast kommt dem geheimen Abschiedsplan auf die Schliche. Anstelle von Gazpacho werden schließlich die aufgestauten Konflikte und alten Geheimnisse des letzten Jahrzehnts serviert. Aus dem prächtigen Abendessen wird eine aberwitzige Dreiecks-Paartherapie zwischen den auseinandergelebten Freunden Pierre und Antoine sowie dem Ehepaar Clothilde und Pierre.
Das weltweit erfolgreiche Autorenduo Matthieu Delaporte und Alexandre de la Patellière gelingt eine feinsinnige Komödie, die das gesellschaftlich relevante Thema um den Wert von Freundschaft im 21. Jahrhundert mit Leichtigkeit und klugen Pointen aufgreift.
Das Regieteam um Christine Eder präsentiert mit “Das Abschiedsdinner” ihre erste Arbeit am Staatstheater Nürnberg und inszeniert Clothilde und Pierre als mondänes Ehepaar in ein repräsentatives und schickes Wohnzimmer, in das sie den gleichermaßen schrillen wie liebenswerten Antoine einladen.
FREUNDSCHAFT - (IN)STABILE BINDUNGEN IM 21. JAHRHUNDERT
Was Delaporte und de la Patellière in “Das Abschiedsdinner“ salopp aufgreifen, geht einem Phänomen auf den Grund, das vielen Zuschauer*innen bekannt sein dürfte: Beste Freund*innen werden zu alten Bekannten, die man kaum mehr trifft und womöglich auch nicht unbedingt weiter treffen möchte. Was aber vielen weniger geläufig sein dürfte, sind die Lösungsversuche der beiden Freunde Antoine und Pierre: Pierre möchte aktiv „Schluss machen“, was laut dem Soziologen Janosch Schobin die wenigsten tun, da die meisten Freundschaften einfach im Sand verlaufen.
Ganz anders hingegen ist Antoines Vorschlag einer Paartherapie für in die Jahre gekommene Freundschaften. Dies mag zunächst absurd klingen, ist es aber vielleicht gar nicht so sehr. So erwies eine kanadische Studie aus dem Jahr 2012, dass Menschen mit funktionierenden Freundschaften gesünder, weniger gestresst und glücklicher sind, als Menschen ohne. Dem steht der Gedanke entgegen, den Zeitaufwand von Freundschaften zu berechnen, was Pierre in „Das Abschiedsdinner“ versucht. Denn, wie Philosoph Rüdiger Zill beschreibt beschreibt, ist es für Freundschaften zentral, nicht zweckgebunden zu sein und lediglich um ihrer selbst willen eingegangen zu werden. Doch Freundschaften sind, wie auch andere emotionale Verbindungen in unserer postmodernen Gesellschaft, einem Wandel unterzogen. So stellt die Soziologin Eva Illouz fest, dass kapitalistische Prinzipien der Konsum- und Wegwerfkultur Einfluss auf unser zwischenmenschliches Verhalten nehmen und die eigentlich so zentrale Stabilität von Beziehungen aller Art gefährden. Laut Illouz werden auch Freundschaften immer häufiger auf ihre Zweckmäßigkeit geprüft, Kosten-Nutzen-Rechnungen angestellt und im Zweifelsfall leichter ausgetauscht. So geschieht es vermehrt, dass Verabredungen mit Freund*innen hinter andere Prioritäten, wie Karriere, Beziehung oder Familie zurückfallen, man sich seltener trifft und schließlich auseinanderlebt. Dies wurzelt mitunter darin, dass Freundschaften - anders als etwa Paarbeziehungen - in unserem Kulturkreis klassischerweise einen eingebauten Abstand haben und man sich immer wieder aktiv verabreden muss, was nicht zwangsläufig passiert, wenn man eine per se nicht zweckgebundene Beziehung, wie eine Freundschaft, auf ihren Nutzen untersucht. Und so ist eine Freundschaft vergleichbar mit einer Zierpflanze, die eingeht, wenn man sie nicht regelmäßig gießt.
NACHGEFRAGT BEI CLOTHILDE
Clothilde, genannt Clote, ist mit Pierre verheiratet. Gemeinsam entschließen sie sich, Abschiedsdinner zu geben, um so Freundschaften zu beenden, denen sie nichts mehr abgewinnen können. Da es sich bei dem ersten Gast um einen Schulfreund Pierres handelt, den Clote nicht sonderlich leiden kann, kommt sie im Verlauf des Stückes vergleichsweise wenig zu Wort. Um Ihnen, liebes Publikum, die Möglichkeit zu geben, ein Stückchen tiefer in den Kopf dieser Figur blicken zu können, hat Dramaturgin Valentina Eimer für Sie ein Interview mit Clothilde (Martina Dähne) geführt.
VE: Hallo Clote. Wie würdest du dich in drei Worten beschreiben?
Clothilde: Abenteuerlustig. Humorvoll. Zuverlässig.
VE: Das glaube ich dir sofort! Und du bist mit Pierre verheiratet, mit dem du auch zwei Kinder hast. Wie ist euer Alltag so?
Clothilde: Ich glaube, was diese Beziehung zusammenhält, ist der Humor. Ich lache gerne und viel mit ihm. Ich finde, er ist ein sehr liebevoller Vater und es macht Spaß, dieses Abenteuer Kinder und Erziehung mit ihm zu erleben.
VE: Gibt es ein “aber”?
Clothilde: Es gab doch neulich mal so eine Umfrage mit dem Ergebnis, dass Männer zwar sagen, sie würden viel mehr im Haushalt mithelfen, aber die Realität ist überhaupt nicht so. Das würde ich über Pierre auch sagen: Er ist jemand, der stellt das Geschirr AUF die Spülmaschine, aber nicht rein, ist aber dann der festen Überzeugung, dass es so passt und dass er die Hausarbeit 50/50 aufteilt. Er ist ein bisschen so ein Traumtänzer und ich bin eher die, die anpackt: Ich bin fürs Rasenmäherreparieren zuständig und er führt Excel-Tabellen mit den günstigsten Stromanbietern.
VE: Nun bereitet ihr beide euch ja gerade auf euer erstes Abschiedsdinner vor. Es war ja zunächst einmal nicht deine Idee. Hat dich der Vorschlag von Pierre überrascht?
Clothilde: Ich finde es bemerkenswert, dass Pierre diesen Vorschlag gemacht hat. Das ist so, als würde jemand mit Höhenangst dich zu einem Fallschirmsprung überreden wollen. Da habe ich mir gedacht, das schaue ich mir an.
VE: Wie meinst du das?
Clothilde: Pierre ist jemand, der sich aus allem rauswindet, weil er keine unangenehmen Situationen mag. Er lässt den Schornsteinfeger rein, obwohl wir keinen Kamin haben. Unsere Kaffeemaschine steht seit einem halben Jahr kaputt in der Küche, bald läuft die Garantie ab. Er müsste nur in den Laden gehen und sie umtauschen, aber das kriegt er nicht hin. Und dass er jetzt Antoine und Bea einlädt, um sie loszuwerden, ist schon außergewöhnlich. Ich bin im Jahr 2000 nach Lateinamerika geflogen, um diese große Sonnenfinsternis zu sehen. Dass Pierre jetzt dieses Dinner durchzieht, ist mindestens genauso besonders für mich. Das ist für mich auf dem gleichen Level von bedeutenden Naturspektakeln.
VE: Hast du vorher schon mal eine Freundschaft aktiv beendet?
Clothilde: Ja, habe ich. Also ich würde das Ganze ja eigentlich direkter angehen als durch ein Abschiedsdinner. Aber so ist es natürlich viel unterhaltsamer, wenn auch nicht so sicher. Weil dann bist du nicht in der Bredouille, wenn du die losgewordenen Freund*innen dann irgendwann beim Metzger triffst. Und du hast gerade gesagt, "Wir sind vegan und können nicht mehr zum Schweinefußessen kommen” und dann trifft sie mich, wie ich beim Metzger gerade 2 Pfund Hack kaufe. Das ist dann natürlich blöd, da kommt man so ein bisschen in Schwierigkeiten. Deshalb wäre ich eher für einen klaren Schlussstrich, aber ich freue mich natürlich wahnsinnig darauf zu sehen, wie Pierre das nun anstellen wird!
VE: Ich drücke euch die Daumen! Wisst ihr denn schon, was ihr mit der neu gewonnenen Zeit anstellen wollt, wenn ihr euch dann den unliebsamen und zeitfressenden Freundschaften entledigt habt?
Clothilde: Wir würden auf jeden Fall mal mit den Neuburgs gemischtes Doppel spielen. Ich glaube, wir würden auf ein Simply Red Konzert gehen. Und wir würden nach Paris fahren, ins Mariage Frères - das ist ein exzellenter Teeladen - und dort würden wir richtig viel Tee kaufen und zum Frühstück trinken. Und wir würden mehr mit den Kindern gemeinsam lesen.
Regie: Christine Eder / Bühne: Monika Rovan / Kostüme: Annelies Vanlaere / Dramaturgie: Brigitte Ostermann, Valentina Eimer / Licht: Wolfgang Köper
mit Thorsten Danner, Stephan Schäfer, Martina Dähne
Inspizienz: Tommy Egger / Regieassistenz und Abendspielleitung: Franka Burgmaier / Ausstattungsassistenz: Maria Angélica Guerrero / Regiehospitanz: Till Schmieder / Ausstattungshospitanz: Annabel Wefing / Freiwilliges kulturelles Jahr und Soufflage: Nele Marie Müller
Aufführungsrechte: Theater-Verlag Desch, mit freundlicher Genehmigung von L’Agence Drama
Zur Veranstaltungsseite Das Abschiedsdinner
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