Glück im Dreivierteltakt
Heute, rund 200 Jahre nach der „Erfindung“ des Walzers, ist er ohne Zweifel der bekannteste und beliebteste Gesellschaftstanz. Walzer tanzen ist anspruchsvoll, aber nicht zu schwierig, und der Schwung des Walzers macht eindeutig gute Laune.
Wer sich in unserer Zeit diesem gediegenen Vergnügen widmet, kann sich kaum vorstellen, dass der Walzer lange als aufreizend und anrüchig galt. Sieht man sich die Geschichte der Volks- und Gesellschaftstänze an, ist das aber gar nicht so verwunderlich. Bis weit ins 18. Jahrhundert hinein berührten sich die Tanzenden höchstens an den Händen und bildeten meist keine über die ganze Länge des Tanzes gleich bleibenden Paare. Der Walzer, der eine enge Paarfassung erfordert, brachte die Tänzerinnen und Tänzer in einen Kontakt miteinander, der bis dahin unerhört gewesen wäre. Kein Wunder, dass sich aus dem 19. und sogar noch dem 20. Jahrhundert viele Zeugnisse finden, die den Walzer als Einfallstor der Sittenlosigkeit ausmachen. So heißt es in der „Grammatik der Tanzkunst“ von 1886: „In keiner anständigen Gesellschaft wird man dulden, dass ein Herr die neben ihm sitzende Dame um die Taille fasse und an sich drücke. Aber kaum ertönen die ersten Akkorde eines Rundtanzes, so stößt sich kein Mensch daran, bis der letzte Takt verhallt und solche Freiheit wieder streng verpönt ist. Wo ist hier die Logik?"
Es stimmt, außer der strengen Schrittfolge hat die Logik im Walzer nichts zu suchen. Es ist die schnelle, weit ausgreifende Drehung, die im besten Fall für eine ekstatische Wirkung sorgt. Die Vorläufer des Walzers waren Volkstänze im Dreivierteltakt, der Ländler oder der Dreher, ein populärer Werbetanz, bei dem sich die Dame der deutlichen Avancen ihres Tänzers erwehren musste. 1786 tauchte der Walzer erstmals in einer Oper auf, „Una cosa rara“ des aus Spanien stammenden Wiener Komponisten Vicente Martín y Soler. Der Walzer war zunächst ein bürgerlicher Tanz, aber mit dem Wiener Kongress ab 1814 griff er auch auf die höfische Gesellschaft über. Geadelt aber wurde er vor allem dadurch, dass die großen Komponisten des 19. Jahrhunderts sich musikalisch für ihn einsetzten. Werke von Meistern wie Weber, Liszt, Tschaikowsky und vielen anderen konnten auch Walzer-Gegner nicht mehr als Bagatellen abtun.
Für die Neujahrskonzerte 2020 im Opernhaus hat Generalmusikdirektorin Joana Mallwitz ein Programm zusammengestellt, das die Vielfalt des Walzers zeigt. Es präsentiert ganz klassische Wiener Strauß-Walzer ebenso wie modernere Stücke von Maurice Ravel und Wolfgang Rihm und sogar einen Walzer im 5/4-Takt aus Tschaikowskys „Pathétique“. Als Solistin und Solist mit dabei sind Andromahi Raptis, Sopranistin aus dem Opernensemble, und der Geiger Manuel Kastl, Konzertmeister der Staatsphilharmonie Nürnberg. Mit Schwung, Vergnügen und (fast immer) im Dreivierteltakt starten wir ins neue Jahr!
Artikel von Georg Holzer, lizensiert unter Creative Commons Lizenz CC-BY-SA
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