Ein Satz für Nürnberg
Als ausufernde Kalendersprüche und persönliches Tagebuch zugleich begleiten uns die "Sätze für Nürnberg" unseres Hausautors - Verzeihung, Haustronauten! - Philipp Löhle von Monat zu Monat. Im gedruckten Spielplan und hier als zeitgeschichtliches Gesamt-Archiv.
Texte und Fotos: Philipp Löhle / haustronaut@staatstheater-nuernberg.de
Man stelle sich vor: eines Tages, und es würde im Radio und im Fernsehen und auf den sogenannten Social Media verkündet: Das Ende der Ideen ist erreicht! Es tut uns Leid, aber wir haben uns jetzt alles ausgedacht, was jemals auszudenken möglich war, alle Buchstaben dieser Welt wurden in allen möglichen – auch undenkbaren und/oder sinnlosen – Kombinationen hintereinander gereiht und wir haben jedes erdenkliche Bühnenbild gebaut und jedes nur mögliche Kostüm zusammengenäht und jedem nur möglichen Exemplar menschlicher und unmenschlicher Natur angezogen und ebendieses Exemplar dann in jeder nur möglichen Position, von allem, was nur irgendmöglich ist, angeleuchtet, auf einer Bühne präsentiert und wir haben zu jeder möglichen Uhrzeit angefangen und zu jeder möglichen Uhrzeit auch wieder aufgehört, es gibt einfach überhaupt nichts mehr, was noch erfunden, erdacht, erneuert, verändert werden könnte. Sorry. Die Kreativen sind am Ende!
Aber bis es soweit ist, sehen wir uns im Theater!
Ihr Haustronaut Philipp Löhle
Ich war neulich im Museum, Bilder gucken. Und ich war nicht alleine, aber ich war der Einzige, der nicht ständig fotografierte! Weshalb ich mich jetzt frage, (ob ich was falsch gemacht habe oder verpasse und) was der Sinn davon ist, durch eine Ausstellung zu rennen und die alten, wirklich beeindruckenden Ölgemälde, die da hingen, sehr großformatig auch, mit einer Handy-Kamera, mehr recht als schlecht, schräg, unscharf vielleicht und vor allem kleinformatig abzulichten, dann noch schnell die Bildbezeichnung hinterher und… ja, und dann? Ich finde jedes dieser Bilder bei Bedarf im Internet, also geht es nicht ums Ablichten des Bildes, sondern ums Sammeln, aber was wird denn da gesammelt? Eine Erinnerung? Ein Eindruck? Ein Lieblingsbild? Oder geht es darum, die Ausstellung mit nach Hause zu nehmen und dort ein zweites Mal zu genießen? Oh Moment, verweile doch! Ah, verstehe, dann werde ich das nächste Mal, wenn ich im Theater bin, die Vorstellung mitfilmen.
Wir sehen uns ebendort!
Ihr Haustronaut Philipp Löhle
Großmutter, Mutter und Tochter schleppen sich in den Zug. Sie haben riesige Koffer dabei. Die drei Damen sind sehr aufgeregt, weil sie nicht wissen, ob sie sich auf die freien Plätze setzen können. Ich versuche zu helfen, kein Problem, setzen Sie sich ruhig. Ihre Fly-and-Rail-Tickets seien ohne Zugreservierung, erklärt mir die Mutter. Ich frage, ob sie im Urlaub waren. Die Mutter sagt, ja, und es sei sehr schön gewesen. Endlich mal ein Land in dem alles funktioniere. Nicht so wie bei uns. Ich denke: Italien? Spanien? Etwa Griechenland? Schließlich frage ich: Wo waren Sie denn? Dubai ist die Antwort. Ich bin so perplex wie sprachlos. Die feiern einen totalitären Unrechtsstaat?! Den Rest der Zugfahrt hätte ich gerne, dass die drei woanders sitzen. Aber seine Mitreisenden kann man sich genauso wenig aussuchen, wie sein Publikum. Und wenn doch: Müsste man sich nicht genau solche Leute als Zuschauer*innen wünschen, um (vielleicht) mal was zu bewirken?
Ein Hoch auf unser Nürnberger Publikum!!
Wir sehen uns im Theater!
Ihr Haustronaut Philipp Löhle
Ich habe mir einen Joghurt-Maker gekauft. Gebraucht, aber wie neu. Bei Kleinanzeigen. Ich esse jetzt wahnsinnig viel Joghurt. Einfach weil ich ständig Joghurt mache. Der Mann, dem ich das Gerät abgekauft habe, sagt, seine Frau habe es gekauft und dann nie benutzt und er schaffe jetzt Platz. Die Wohnung ist nicht besonders groß. Beim Rausgehen sehe ich in einer Ecke Rechner, Mikrofone, Bildschirme. Ich frage, ob er Podcasts mache. Er sagt, er spiele online Computerspiele und man könne ihm dabei zuschauen. Momentan habe er noch einen normalen Job, weil ihm nicht genug Leute beim Zocken zuschauen. Er sei halt noch nicht besonders gut. Aber sein Traum sei: im Süden wohnen und mit Spielen Geld verdienen. Und während ich so meinen selbstgemachten Joghurt löffle, denke ich: Das ist in etwa das, was wir in Nürnberg am Theater machen. Im Süden wohnen und mit Spielen Geld verdienen.
Wir sehen uns im Theater!
Ihr Haustronaut Philipp Löhle
Man sagt immer: MENSCH UND NATUR. Dabei ist das Schwachsinn. Weil der Mensch ist ja Teil der Natur. Nur denkt er, er sei mehr oder anders oder gegensätzlich dazu. Zum Beispiel macht der Mensch ständig aus Natur Landschaft. Das wäre wie wenn im Theater die Spielenden sich als Gegensatz zum Publikum verstehen würden. Dabei gibt es ohne Publikum kein Theater. Und ohne Spielende auch nicht. Natürlich kann etwas passieren, ohne dass jemand zuschaut, aber Theater ist das sicher nicht. Sonst könnte man ja proben und nie etwas aufführen und damit sein ganzes Leben verbringen und dann am Ende behaupten, man habe Theater gemacht. Deshalb ist ganz klar: Wir, als Theater, brauchen das Publikum, um überhaupt erst Theater zu werden. Umgekehrt mag das nicht unbedingt der Fall sein, denn die Natur braucht ja den Menschen auch nicht, um Natur zu sein. Man könnte sogar auf die Idee kommen, die Natur wäre ohne den Menschen besser dran, was beim Publikum eher nicht so ist.
Ihr Haustronaut Philipp Löhle
Neulich war ich Fußball gucken. In der Kneipe! Überall saßen Männer, die auf Bildschirme glotzten und riesige Mengen Bier in sich hineinschütteten. Ab und zu kam es zu Lautäußerungen seitens der Männer in Richtung der Fernseher. Eigentlich in Richtung der Spieler, aber ich bin mir ziemlich sicher, dass die Spieler die Männer nicht hören konnten (Meine kleinen Töchter sprechen auch manchmal mit Checker Tobi…). Ich gehe gerne, aber sehr selten, in der Kneipe Fußballgucken. Ich habe überhaupt keine Ahnung von den Teams und den Spielern und alles. Aber ich mag es, wenn plötzlich alle schreien, weil sich ein Lederball einem grobmaschigen Netz nähert. Als die Männer an meinem Tisch erfuhren, dass ich am Theater arbeite, haben sie gemeint, da gehen sie nicht hin. Ich habe dann kläglich versucht, sie für Theater zu begeistern. Es hat leider nicht geklappt. Nicht mal das Argument, dass im Theater die Spieler*innen das Publikum direkt wahrnehmen und reagieren können, hat gezogen. Schade.
Falls das einer von den Jungs liest: Wir sehen uns im Theater! Bitte!
Ihr Haustronaut Philipp Löhle
Jetzt mal angenommen, man liefe durch eine Stadt – gar nicht unbedingt diese hier, sondern irgendeine – und da hätten die Rechten eine Demonstration angekündigt und man selbst, lediglich Gast in dieser Stadt, würde es nur mitbekommen, weil man einer Gegendemonstration begegnet. Oft erkennt man ja erschreckender Weise erst auf den zweiten Blick, wofür oder wogegen eine Demonstration eigentlich ist. (Eine Urangst: auf der falschen Demo mitzulaufen.) Nun, beim Anblick dieser Gegendemo, beginnt man zu verstehen, es geht hier um die Demokratie und eine gerechte Welt und Mitmenschlichkeit und jede Stimme zählt, usw. ... Aber dann merkt man, eigentlich ist man doch sehr hungrig. Der Magen knurrt, man ist ja auch schon eine Weile unterwegs und vielleicht ist es auch kalt ... Was hieße das dann, wenn man den eigenen Hunger über das Gemeinwohl, über die Verteidigung der Demokratie stellt? Wäre das falsch? Egoistisch? Menschlich? Ich bin dann was essen gegangen, um darüber nachzudenken, bis ich satt war.
Wir sehen uns im Theater!
Ihr Haustronaut Philipp Löhle
Es tut mir leid, ich muss Ihnen leider eine traurige Nachricht mitteilen: Max Mustermann ist tot. Ja, unglaublich, aber wahr. Lange Zeit dachte ich sogar, Max Mustermann wäre unsterblich. Immerhin sah er seit Jahrzehnten genau gleich langweilig aus. Er wohnte konstant in Köln in der Musterstraße, war glücklich mit Erika Mustermann, geborene Gabler, verheiratet und blieb immer bescheiden, obwohl er wahrscheinlich der bekannteste Deutsche ist. Er war ein großer Feminist, denn bei den meisten Dokumenten ließ er Erika den Vortritt, ohne sich selbstsüchtig in den Mittelpunkt zu stellen. Und nun soll all das für immer vorbei sein? Ich kann es nicht glauben. Aber die Fakten täuschen nicht: Ich habe in einem Bestattungsinstitut in der Nähe seinen Grabstein gesehen. Auch hier – obwohl sogar sein Name falsch geschrieben ist – ein bescheidenes Anthrazit und klare Linienführung in der Schrift. Selbst im Tode noch müht sich Max, möglichst nicht aufzufallen. Dabei hätte er es wirklich mal verdient.
Machs gut Max, alter Freund. Wir gedenken deiner!
Das Publikum und der Haustronaut Philipp Löhle
Der Mann im Großraumabteil neben mir checkt auf dem Handy seine Aktien. Ich kann sehen, wie viel Vermögen er angelegt hat und was es gerade wert ist. Ein paar Reihen weiter sitzt eine Dame mit Kopfhörern und führt eine Online-Konferenz durch. Das Meeting dauert lange, findet auf Englisch statt und die Dame hat ziemlich viel Redezeit. Da ich selbst Kopfhörer auf den Ohren habe, höre ich nicht richtig, worum es geht. Außerdem arbeite ich ja an diesem Text. Der Aktienmann neben mir liest heimlich mit. Ich frage mich, ob es nur ungewohnt oder auch lästig ist, wenn alle ihre Leben in die Öffentlichkeit verlegen. Einerseits kriegt man Einblick in Dinge, die einen nichts angehen, andererseits: Was ist denn so schlimm daran, wenn ich einen Blick auf die Aktien dieses Mannes werfen kann? Bringt mir ja doch nichts. Und so gesehen, gehen wir nicht extra ins Theater, um anderen Leuten – okay, die sind nur gespielt und ausgedacht, aber trotzdem – beim Leben zuzuschauen?
Seien Sie gegrüßt!
Ihr Haustronaut Philipp Löhle
Wir dürfen nicht aufgeben! Wir müssen weiter an uns glauben. An die Menschen, an die Welt und ans Theater. Wir machen einfach immer weiter und versuchen, immer überzeugter zu werden: Wir werden es schaffen. Wir werden etwas verändern. Eines Tages, nicht mehr lange hin, da wird Theater nämlich plötzlich wirken. Alles, was wir spielen und (be-)schreiben und einfordern, wird sich über die Köpfe der Zuschauenden in die Welt hinaustragen lassen. Dann können wir direkt von der Bühne aus Einfluss nehmen. Wir können die Welt verbessern und zu einem schönen Ort mit Zukunft machen. Unser Werkzeug sind wir, unser Medium die Bühne, unser Produkt eine heile Welt. Die Stücke und Inszenierungen werden dann natürlich total langweilig. Ständig heile Welt und Gutmenschen, alles konfliktfrei und moralisch didaktisch. Mag sein, dass der Unterhaltungswert ein bisschen leidet, aber was nimmt man für eine bessere Welt nicht alles in Kauf, oder?
Seien Sie gegrüßt!
Ihr Haustronaut Philipp Löhle
Jetzt ist es raus. Wir haben nur noch 250 Millionen Jahre! Forscher haben errechnet, dass dann die Menschheit und alle anderen Säugetiere aussterben werden. Weil es einfach zu heiß sein wird. Und wir sind nicht mal schuld. Yeah! Dieses Mal nicht. Denn es wird nur so heiß, weil bis dahin alle Kontinente zusammenrücken und einen Riesensuperkontinent bilden. Das ist eigentlich gut fürs Klima, weil dann muss man nicht mehr fliegen, man kann dann alles mit dem Nachtzug machen. Von Peking nach Los Angeles. Alles über Land. Wir sind wohl die erste Spezies, die ihr Ende selbst ausrechnet. Und das hat doch etwas unglaublich Beruhigendes. Seneca behauptet zwar, es schade der Seele, die Zukunft zu fürchten oder herbeizusehnen, aber ist es nicht so, dass wir auch bei jedem Theaterabend gerne wissen, wie lange er dauert? Einfach, damit man sich drauf einstellen kann. Und schon mal gucken, welche Bahn man noch erwischt.
Ihr Haustronaut Philipp Löhle
Wir am Theater arbeiten für Sie, für unser Publikum. Wir wollen, dass Sie zu uns kommen, unsere Aufführungen anschauen und vor allem wollen wir, dass es Ihnen gefällt. Logisch! Niemand würde einen Theaterabend machen wollen, extra so, dass ihn niemand mag. Nicht mal die Avantgardist*innen. Es soll aber Künstler*innen geben, die ihre Kunst nur für sich machen. Zum Beispiel ganz alleine an irgendeinem Strand dieser Welt tagelang welke Blätter nach Färbung sortiert zu einem schönen Muster auslegen. Kein Foto machen, keine Dokumentation, und dann kommt der Wind und bläst die Kunst weg. Und das war es. Oder die Natur! Die baut in Tropfsteinhöhlen Kunstwerke, die zum Teil in 50 Jahren nur um einen Millimeter wachsen! Vielleicht die langsamste Aufführung, die es überhaupt gibt, die über Jahrtausende nicht mal jemand mitkriegt. Oder wusste die Natur: Irgendwann würden Forscher kommen, die Höhle entdecken, die Tropfsteine anschauen und sie dann maßlos bewundern. Ein Fuchs, diese Natur.
Ihr Haustronaut Philipp Löhle
Und ich sage Kafka, Die Verwandlung. Und der Amerikaner sagt, Kafka, das sagt mir irgendwas. Und ich sage, du wirst ja wohl Kafka kennen. Die Verwandlung, The Metamorphosis!?? Und er knautscht sein Gesicht und meint, er sei sich nicht ganz sicher und ich gebe ihm eine kurze Inhaltsangabe und er guckt total verwirrt und hat einen richtigen Kafka-Moment: Was?? Der Typ wacht als Käfer auf? Der Amerikaner mit dem ich da spreche, ist zwar Texaner, aber Dirigent von Beruf. Müsste er da nicht so jemanden wie Kafka kennen?? Das letzte Mal so erstaunt war ich, als ich mal an einem Imbiss stand und vor mir kam ein mittelalter Anzugträger an die Reihe, der gestelzt fragte: Was ist das denn, ein Döner? Vielleicht war es auch nur ein Trick, denn er hat danach das schönste Exemplar dieses Sandwichbrötchens bekommen, das ich je gesehen habe. Und vielleicht war es von dem Amerikaner ja auch nur Trick. Denn so kann er jedes Mal aufs Neue Kafka für sich entdecken.
Ihr Haustronaut Philipp Löhle
Neulich kam es wieder im Radio: Irgendeine Band hat gemeint, es wäre eine gute Idee, wenn sie den irre bekannten Ohrwurm-Hit einer anderen Band neu aufnimmt. Gerne wird dann ein anderes Genre gewählt. Zum Beispiel die Rolling Stones im Bossa Nova Stil oder was von den Beatles als Chill-out-Music. Tut mir leid, aber in 99% der Fälle muss ich dann das Radio aus oder kaputt machen. Ich verstehe die Idee dahinter gar nicht. Als das Radio dann in Scherben lag und ich im Stillen so vor mich hindachte, ist mir aufgefallen, wie ungerecht ich bin. Denn im Theater machen wir nichts anderes als Cover-Versionen. Das Theater ist quasi der Ur-Ort des Coverns. Es ist integraler Bestandteil seiner Existenz. Ohne Coverhits kein Theater. Sei es Shakespeare, Goethe, Schiller. Wir covern die ganze Zeit alte Hits. Und gerne wird dann auch ein anderes Genre gewählt: Romeo und Julia im Bossa Nova Stil zum Beispiel. Klar, wieso nicht?
Ihr HAUSTRONAUT – Philipp Löhle
Ich war auf einem Filmfestival und wurde gleich erkannt! Mehrfach! Erst schaut mich einer ganz lange und ganz komisch an und fragt dann: Warst du nicht mit Katrin in Australien? Und ich muss leider verneinen, denn ich war noch nie in Australien. Auch nicht mit Katrin. Am nächsten Tag wurde ich wieder so komisch angeguckt, dann aber gefragt, ob ich Schauspieler wäre. Leider auch nicht. Aber ich würde doch Filme machen? Selten, gestehe ich und frage ihn, ob er vielleicht Katrin kenne? Welche Katrin, fragt er. Und ich: Die aus Australien. Da hat er mich angeguckt, als ob ich der Verrückte von uns beiden sei.
Paar Tage später stehe ich im Park und werde von einer blonden Frau angelächelt. Ich bin sehr stolz, dass mir sowas passiert. Als sie näherkommt, nimmt sie einen Knopf aus dem Ohr, beugt sich zu mir und sagt: Sorry, verwechselt. Ich rufe ihr noch nach: Katrin, bist du es? Aber das hört sie schon längst nicht mehr.
Ihr HAUSTRONAUT – Philipp Löhle
Die Frage ist doch die: Bei uns im Hof stehen die Mülltonnen und ständig beladen die Leute sie falsch. Plastiktüten in den Biomüll, Rotweinflaschen ins Weißglas usw. Wenn man sich nun öffentlich darüber aufregt, zum Beispiel, indem man in den hauseigenen Chat schreibt, die Bewohner*innen mögen doch bitte die Tonnen richtig benutzen, dann komme ich mir vor wie ein 70-jähriger Blockwart oder unser Nachbar von früher, als ich klein war, der Herr Stemmle, der musste auch immer alles kommentieren und verbessern. Wenn ich es aber niemandem sage, wird sich doch auch nichts verbessern. Momentan verfahre ich nach der Taktik, stolz und konsequent den falschen Müll in die richtige Tonne zu werfen. Freiwillig! Fürs Klima! Kopfschüttelnd mit vom fremden Müll dreckverschmierten Händen laufe ich zurück in die Wohnung und stelle fest: Ich habe zwar noch meinen Stolz, aber jegliche Zuversicht verloren. Denn wenn wir schon bei den Mülltonnen scheitern, wie sollen wir dann erst richtig schwierige Aufgaben bewältigen?
Ihr HAUSTRONAUT – Philipp Löhle
Diesen Text habe ich nicht selbst geschrieben. Ich habe einer künstlichen Intelligenz im Internet vorgegeben, sie solle einen Text verfassen, der die passende Länge hat und sich am Besten mit dem Thema künstlich erstellter Texte beschäftigt. Dann habe ich auf „Ausführen“ gedrückt und ein paar Sekunden später hatte ich diesen Text. Jetzt habe ich folgendes Problem: Ist der Text zu gut, ist es langweilig, wenn er von einer KI verfasst wurde, weil nur die Bruchstellen sichtbar machen, dass er nicht von einem Menschen verfasst wurde. Ist er zu schlecht, bleibt die Frage, worin liegt der Sinn vorzuführen, dass ein Computer schlechtere Texte als ein Mensch schreibt? Vielleicht habe ich also den Text doch selbst verfasst und hier spricht nicht das Internet, sondern immer noch ein richtiger Mensch. Am besten ich überlasse die Entscheidung dem/der Leser*in. Das obenstehende Bild habe übrigens auch ich gemalt. Bleibt nur die Frage: Wer ist Ich?
Ihr HAUSTRONAUT – Philipp Löhle
Es gibt Sätze, die man, noch während man sie liest, und dabei ist zu versuchen, sich darüber klar zu werden, worum es in ihnen überhaupt gehen soll, schon wieder so weit verliert, dass man keine zwei Zeilen vom Anfang nicht weiter vom Sinn entfernt sein könnte, der sich doch nach und nach erschließen sollte, da dieser eigentlich die Aufgabe eben jenes Satzes sein müsste, ja seine regelrechte Existenzberechtigung ist, denn dieser Satz, wie nahezu jeder Satz, ist ja nur deshalb, und Sein ist hier ganz und gar existentialistisch zu verstehen, um eine Aufgabe zu erfüllen, selbst wenn sie in einer Art der Sinnlosigkeit etwas wie Poesie zu vermitteln läge, was so viel bedeutet, wie der Satz, der nichts heißt, wäre also seiner eigenen Existenzberechtigung beraubt, ein nahezu selbstmörderischer Satz, der sich selbst wieder insinuiert, in dem er die Selbstzerstörung zur Aufgabe macht und am Ende eben behauptet, nur deshalb nichts gesagt zu haben, um zu zeigen, wie man am besten nichts sagt und sich damit darin, also in sich selbst, auflöst.
Ihr HAUSTRONAUT – Philipp Löhle
Wir waren neulich im Schwimmbad. Meine Tochter wollte Tauchen üben. Der Meeresspiegel steigt immer weiter, da muss man sich vorbereiten. In dem Hallenbad war es wirklich arschkalt – man kann es nicht anders sagen, sorry. Meine Tochter hat gefroren, ich habe gefroren. Sogar die Kinder aus der neben uns stattfindenden Schwimmstunde standen zitternd am Beckenrand, vor ihnen der Schwimmlehrer mit Jacke! Außer uns und den paar Kindern war gar niemand da. Es war praktisch leer. Auf Nachfrage habe ich erfahren, seit das Bad fünf Grad kälter sei, kämen nur noch sehr wenige Besucher*innen. Ich will gar nicht drüber nachdenken, wie sinnvoll es ist, ein Bad zwar zu beheizen, aber nur so kalt, dass keiner mehr kommt. Ich denke eher: Was haben wir doch für ein Glück mit der Klimakatastrophe. Man stelle sich vor, es würde immer kälter! Schnee von September bis Mai! Und nur Minusgrade! Da freue ich mich lieber auf Open-Air- Theater im Januar und warme Seen zu Weihnachten. Puh. Glück gehabt.
Ihr HAUSTRONAUT – Philipp Löhle
Wir befinden uns in einer Zeit der infantilen Rückentwicklung. Gar nicht lange her, da hat uns die Bundeskanzlerin, genannt: Mutti!, beigebracht, wie man sich die Hände wäscht. Man soll dabei „Happy Birthday“ singen. Zwei Mal! Seitdem denke ich jeden Tag, ich hätte Geburtstag und habe trockene Haut an den Händen. Inzwischen wird uns didaktisch durch Werbeanzeigen vermittelt, wie man Strom spart und dass einige Grad Raumtemperatur durch die richtige Kleidung wettgemacht werden können. Dinge, die wir nicht mal ahnten! Und der Bundeskanzler, genannt Vati?, spricht in extra kindgerechter Sprache mit uns. Er nennt sein Vorgehen Doppelwumms! Ich dachte, Doppelwumms macht man im Freibad oder im Sandkasten, bevor man nach einem Eisbecher schreit. Die Zeiten ändern sich. Immer wenn es doof wird, spricht man gerne von Kindertheater und da muss ich jetzt mal klipp und klar sagen: Wer weiterhin so einen Unsinn behauptet, wird nicht zu meinem Geburtstag eingeladen!! Ätsch!
Ihr HAUSTRONAUT – Philipp Löhle
Schon bemerkt? Um den Serienhype noch exklusiver zu gestalten, verfallen einige der Streamingdienste auf die Taktik, nur zu einer bestimmten Zeit eine neue Folge zu zeigen. Wenn man also eine Serie am Stück durchgucken will, muss man erst mal ein paar Wochen warten, bis überhaupt alle Folgen verfügbar sind. Das Vorgehen ist total widersinnig, weil damit unterscheidet sich so ein Streaminganbieter ja gar nicht mehr vom Fernsehen. Oder ist etwa bemerkt worden, dass etwas an Wert gewinnt, wenn es nicht 24/7 verfügbar ist? Wie stark müsste dann so eine Serie erst an Wert gewinnen, wenn sie anstatt aufgezeichnet, jedes Mal aufs Neue live von echten Menschen gespielt würde? Und wenn man sich jetzt noch vorstellt, die Serie wäre gar nicht weltweit und überall zu sehen, sondern nur in einem Land oder sogar nur in einer Stadt! Was müsste das für die Exklusivität, Einmaligkeit und Wertigkeit einer solchen Darbietung bedeuten? Da kann ich nur sagen: Willkommen im Theater!
Ihr HAUSTRONAUT – Philipp Löhle
Kennen Sie ORBIT? Und ich meine damit nicht die Bahn, auf der ein Objekt einen Himmelskörper umkreist, ich meine die Band ORBIT. Die ist aus Nürnberg und ziemlich spannend. Eigentlich wollte ich ein bisschen über Gibitzenhof recherchieren und so eine Art Stadtteilprojekt machen, aber dann sind wir auf einen Jugendclub gestoßen, den es in den 70ern hinter der Herschel-Schule gegeben hat. Und genau dort haben sich ORBIT gegründet. Die sind auch teilweise mit IHRE KINDER verwoben oder zumindest bekannt. Das KOMM haben sie mitbegründet und vor allem: Sie wären beinahe vor Bob Dylan aufgetreten!! Das hat mich dann doch angefixt. Ich habe noch nicht alle Mitglieder persönlich sprechen können. Die sind auch teilweise in die ganze Welt verstreut, aber ein Gründungsmitglied, Ottmar „Fitze“ Fittich, hat mir schon einiges erzählt. Falls Ihnen also ORBIT was sagt oder Sie die persönlich kennen, lassen Sie es mich bitte unbedingt wissen. Vielen Dank.
Ihr HAUSTRONAUT – Philipp Löhle
Ich war auf einem Festival. Lauter Menschen. Laute Musik. Überall gab es Stände und Bauchläden, die Ohrstöpsel verkauften, von denen behauptet wurde, sie dämpften zwar die Lautstärke, aber man höre trotzdem noch alles. Das heißt, man geht auf ein Festival, um laut Musik zu hören, macht sich aber Ohrstöpsel rein, damit die Musik nicht zu laut ist. Ja was denn nun? Man kann sich ja auch nicht mit alkoholfreiem Bier betrinken. Verstehen Sie mich nicht falsch, ich trinke sehr gerne alkoholfreies Bier, aber eben nicht um betrunken zu werden. Und ich höre sehr gerne laut Musik, aber nicht mit Ohrstöpseln. Paar Tage später war ich vor der Stadt in einem verwunschenen Park und plötzlich wummerte von irgendwoher, sehr basslastig und voll, tanzbare Musik. Ehe ich mich zu Ende wundern konnte, lief ein Mann an mir vorüber, der eine Box auf dem Rücken trug. Einer Erscheinung gleich, kam er aus dem grünen Dickicht und verschwand auch wieder darin. Ich bin mir bis heute nicht sicher, ob ich ihn wirklich gesehen und gehört habe!
Prost
Ihr HAUSTRONAUT – Philipp Löhle
Ich glaube wir verpassen gerade etwas. Und deshalb müssen wir immer alle alles aufschreiben. Jeden Tag. Um im Nachhinein zu verstehen, was eigentlich passiert ist. Wir befinden uns mitten in einer unglaublichen Veränderung. Dreiteilig und Gleichzeitig. Sehr langsam: Klimakatastrophe. Langsam: Pandemie. Zu langsam: Ukrainekrieg. So ein Mauerfall dauert einen Abend, Flugzeuge in Türme nur einen Vormittag. Das ist viel plötzlicher und dadurch schockierender, aber auch begreiflicher. Weil man es sogar an einer Uhrzeit festmachen kann. Mit dem Ereignis beginnt schon die Aufarbeitung. Die Klimakatastrophe findet schon seit 30 Jahren statt. Das ist so langsam, das begreift niemand. Die Pandemie hat einfach in zwei Jahren unser Leben verändert und wir merken es nicht mal mehr. Und dieser scheiß Krieg. Ich fürchte wir werden uns daran gewöhnen oder alle zusammen darin untergehen. Aber genau deshalb müssen wir alles aufschreiben. Alles. Und wenn es uns noch so unwichtig erscheint. Und dann, in 20 Jahren, spielen wir es nach!
Ihr HAUSTRONAUT – Philipp Löhle
Ich hatte jetzt Magen-Darm. Nicht schön. Ich will auch gar nicht in die Details gehen, aber ich habe währenddessen gedacht, irgendwie erinnert mich das an Urlaub. Zum Beispiel an das eine Mal im Norden Argentiniens, an der Grenze zu Brasilien, da gibt es diese
beeindruckenden Wasserfälle von Iguazu. Da lag ich dann auch zwei Tage im Bett und konnte nur noch schlafen. Oder einmal in Peru. Da sind wir auf einen riesigen Mammutbaum gestiegen, bis in die Wipfel hoch. Da war eine Plattform und man konnte über den endlosen Dschungel sehen. Und ich habe nur nach einer Toilette Ausschau gehalten. Oder auf Sri Lanka: bei Tropengewitter in einen Blumenkübel im Treppenhaus des Hostels gekotzt. Hach, das waren noch Zeiten, als man in die Ferne reiste, um sich den Magen zu verderben. Jetzt macht man sogar das schon zuhause und ganz ohne Kulturschock. Ist sicherlich auch besser fürs Klima. Und im die Krankheit begleitenden Delirium kann man sich ja sowieso überall hinträumen. Herrlich.
Ihr HAUSTRONAUT – Philipp Löhle
Irgendwo muss es sein, womöglich ganz im Innern der Erde – da kann es nur sein, weil auf und über der Erde ist schon fast alles erforscht (oder?), da hätte man es längst entdeckt – also irgendwo, im Innern der Erde, ganz sicher, da ist jemand, vielleicht sind es auch mehrere oder es ist gar nicht jemand, sondern niemand, also nicht in dem Sinne eine Person, aber auch nichts Abstraktes, nichts Spirituelles, eher eine Maschine, jetzt habe ich’s: ein Perpetuum Mobile vielleicht, ein Ding, das sich selbst immer weiter antreibt, von alleine, automatisch, aber trotzdem kein Automat und auch kein Gerät, das dampft und zischt, eher etwas Weiches oder Waberndes vielleicht, aber kein Organismus; und auf jeden Fall ohne Bewusstsein, und dieses Ding, das nie aufhört, niemals, das besteht nur darin und dafür: immer weiter zu machen. Muss so sein. Warum sollte sonst einfach alles immer weiter gehen. Dafür muss doch irgendwer verantwortlich sein. Oder?
Vorhang auf! Jeden Abend!
Ihr HAUSTRONAUT – Philipp Löhle
Eigentlich ist es doch faszinierend, wie formbar der Mensch ist. Überzeugende Argumente plus Zeit und schon stellt man sein ganzes Leben um. Zumal, wenn das Gefühl besteht, es handle sich um etwas vorübergehendes. Das erinnert mich an lange Urlaube oder kleine Weltreisen. Da habe ich mich immer gewundert, wie wenig ich mein Zuhause (also eigentlich mein Zimmer) und meine Sachen (damals hauptsächlich CDs) vermisse. Und ob das nicht bedeute, ich brauche all das eigentlich gar nicht. Andererseits habe ich im Tausch dafür einiges erlebt und außerdem wusste ich ja eben: Es ist zeitlich begrenzt. Ich konnte nahezu garantiert davon ausgehen, nach einer gewissen Dauer würde alles wieder wie vorher. Bleibt die Frage, wie lange müsste man verreisen, um sich im Ungewohnten so einzurichten, dass am Ende das Gewohnte das Ungewohnte wird. Ein Jahr? Zwei? Drei? Dreizehn Schuljahre lang habe ich mich nicht daran gewöhnt, früh aufzustehen. Und an halbvolle Theater werde ich mich auch nie gewöhnen! Also: Nix wie hin!
Ihr HAUSTRONAUT – Philipp Löhle
Ich war mit meiner zweijährigen Tochter im Theater. Wir haben „Die Bremer Stadtmusikanten“ angeguckt und da die Theaterfassung aus meiner Feder stammte, war ich natürlich unbändig stolz, weil meine Tochter so hochkonzentriert zugeschaut hat. Wir spielen seither täglich (!) das Stück nach. Mal bin ich der Esel, mal der Hund, einmal war ich sogar ein Sack Getreide. Meine Tochter ist meist die Müllerin und brüllt mich an, was ich zu tun habe. Interessant, schlägt aber mit der Dauer aufs Gemüt.
Allerdings, die Idee ein Stück nicht nur anzuschauen, sondern zuhause nachzuspielen, finde ich übertragbar auf Erwachsene. Man hat dann auch viel länger was vom Theaterabend. Aber Obacht: Eventuell eignen sich einige Stücke besser als andere. Nach „Was ihr wollt“ als Mann verkleidet die Nachbarin zu verführen, ist was anderes, als für „Das Erdbeben in Chili“ die eigene Wohnung kleinzuschlagen. Aber es muss ja auch nicht ganz so realistisch sein. Ein einfaches Als-ob lässt Ihrem Budget größere Spielräume als gedacht.
Viel Spaß
Ihr HAUSTRONAUT – Philipp Löhle
War das schon immer so? Dieses Gefühl, gerade wir lebten in der schwierigsten aller möglichen Zeiten. Wenn man die Zeitung aufschlägt, dann ist das der Weltuntergang in Überschriften. Krieg, Konfrontation, Ausbeutung, Elend. Überall Autokraten, die egomanisch durchdrehen. Dazu der Klimawandel. Zeigt sich zwar täglich, wird aber immer noch als Glaubensrichtung betrachtet. Und die Wirtschaft ist in Sphären entrückt, die ein normaler Mensch nicht mehr verstehen kann. Wahrscheinlich hatte der Nürnberger Hausautor im Mittelalter damals auch schon dieses Gefühl, gerade seine Gegenwart sei die schwerste. Die Pest war ja auch kein Spaß.
Es gibt aber einen Ausweg gegen derart seelische Belastung: natürlich das Theater. Es ist inzwischen erwiesen, das emphatische Miterleben mit fiktionalen Figuren nimmt uns Stress und Sorgen ab. Wir erleben geschützt aus der zweiten Reihe die Probleme erfundener Figuren und schaffen uns damit was von der Seele.
Na, dann ist ja klar, wo wir jetzt alle hingehen!
Ihr HAUSTRONAUT – Philipp Löhle
Eine der besten Erfindungen der Neuzeit ist die Autovervollständigung bei Google-Suchen. Man kann ganze Abende damit verbringen, diesen vorausgeahnten Fragen nachzugehen. War Shakespeare ... reich? (Wen interessiert das?); eine Frau? (ist ein Diskurs, okay); in Verona? (kann man nur über was schreiben, was man selbst erlebt hat?); Engländer? (hallo, Allgemeinbildung!); ein guter Familienvater? (wieso stellt sich ausgerechnet diese Frage in Zusammenhang mit Shakespeare?); in Weimar (hä?). Ich weiß nicht, ob bei Ihnen andere Vervollständigungen erscheinen, als bei mir, vielleicht googeln Sie seltener nach guten Familienvätern aus Weimar, aber das Prinzip ist toll und eigentlich ist Theatergucken ein bisschen wie die Autovervollständigung. Die Schwäche und die Stärke im Theater entstehen doch aus demselben Grund: Es fehlt einfach die endgültige Darstellbarkeit, das ist nicht zu schaffen. Also muss das Publikum aktiv mitarbeiten. Und da wir alle besser sind als die Google-Suche ...
Viel Spaß weiterhin!
Ihr HAUSTRONAUT – Philipp Löhle
Mich hat Eric Walker angerufen. Und das muss man ihm hoch anrechnen, denn der Eric und ich, wir kennen uns gar nicht. Der Eric war ganz besorgt, weil er festgestellt hat, meinem Computer geht es nicht gut. Er hat aber gesagt, das sei überhaupt kein Problem, er kenne sich aus und wir kriegen den in Nullkommanix wieder flott.
Der Eric hat mich am Wochenende angerufen. Während andere in die Pilze gehen, setzt sich dieser feine Mensch hin, um sich um meinen Computer zu kümmern. Und zwar gratis!
Ich habe ihn dann gefragt, woher er denn weiß, dass genau mein Computer ein Problem hat und da hat er gemeint, weil er den kennt. Meinen Computer.
Komisch war nur, ich habe gar keinen Microsoft Computer und die Identifikationsnummer, die er mir gesagt hat, gibt es auf allen Geräten dieser Firma. Na ja. Trotzdem nett. Und da dachte ich, wenn der Eric das nächste Mal anruft, dann spiele ich ihm einen Streich. Und das habe ich auch. Es klingelt, ich nehme ab und sage: Polizeidienststelle Berlin! Aber vielleicht fand er das nicht lustig, denn seitdem ruft er mich nicht mehr an.
Auf bald.
Ihr HAUSTRONAUT – Philipp Löhle
Die Tauchgondel sieht aus, wie von Jacques Cousteau erdacht. Sie liegt am Ende einer sogenannten Seebrücke, die in die Ostsee ragt. Es geht nur dreieinhalb Meter in die Tiefe. Vor dem Fenster trüb grünes Wasser und Ohrenquallen. Etwa 20 Leute sitzen in der Gondel. Vorne steht ein Mann, der mit seinen aufgesagten Informationen zu interessieren versucht. Dann gehen die Jalousien runter und ein 3D-Film wird gezeigt. Danach ist wieder der Mann dran. Er zeigt auf einen Schaukasten mit für die Ostsee typischen Muscheln. Ein Opa steht auf, stellt sich vor den Mann und den Schaukasten und fotografiert von dort aus seinen Enkel. Der Mann ist fassungslos. Er verlässt seinen abgespulten Singsang und schimpft, wie ungeheuerlich das sei, was man hier erleben müsse. Wie unfassbar respektlos die Leute mit ihm umgingen. Er bellt richtig. Dann wechselt er zurück in den Singsang und beendet schließlich seinen Vortrag mit: „Vielen Dank für Ihren Besuch. Von Aufmerksamkeit kann keine Rede sein.“ Ich habe stellvertretend ein schlechtes Gewissen, wie ich es zuletzt zu Schulzeiten hatte.
Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
Ihr HAUSTRONAUT – Philipp Löhle
Ich weiß nicht, ob Sie das kennen, aber ich arbeite schrecklich gerne. Nur komme ich so selten dazu. Schon vor der Pandemie haben mich Feiertage und Wochenenden sehr gestört, weil dann immer die Familie zuhause ist und, klar, das macht auch Spaß, aber dann kann ich halt nicht arbeiten. Mit Pandemie ist (war?) alles nur noch schlimmer. Aber immer, wenn ich das erzähle, schauen mich alle sehr seltsam an. Als ob sie sich Sorgen um mich machten. Oder habe ich etwas Verbotenes getan? Ich habe also verstanden: Ich arbeite gar nicht. Denn Arbeit ist etwas, womit man zwar den ganzen Tag verbringt, aber OHNE, dass es Spaß macht. Sobald es Spaß macht, ist es keine Arbeit mehr. Das ist seltsam, weil der Mensch demnach so viel Zeit mit etwas verbringt, was ihm keinen Spaß macht und nur sehr wenig Zeit mit dem, worum es ihm wirklich geht. Vielleicht müsste man das ändern, vielleicht müssten einfach alle … kündigen?
Bis dahin.
Ihr HAUSTRONAUT – Philipp Löhle
Und dann saß ich da und war seit Monaten endlich mal wieder im Theater. Gab es ja alles nicht, war ja Seuche. Und irgendwie schau ich da so von außen drauf, weil eben ungewohnt und auch in Frage gestellt. Und ich kann es fast nicht glauben, aber es kommt mir plötzlich vollkommen absurd vor. So herrlich verschwenderisch. Wenn man sein Leben eineinhalb Jahre lang nur noch nach Nutzen und Risikoabwägung einteilt, ist so etwas wie Kunst, wie Theater, unglaublich hedonistisch. Fast durchzuckt einen der Gedanke: Darf man das überhaupt? Sich verkleiden, in ein aufwändiges Bühnenbild stellen, von zig Mitarbeiter*innen im Hintergrund beholfen und organisiert und dann einfach so tun, als sei man jemand anderes und dann dadurch Fragen stellen, die man nicht mal beantwortet? Und wie man das darf! Es ist fantastisch. Wir sind nicht viele, die zuschauen, weil allzu viele dürfen noch nicht rein, aber schon alleine das Gefühl, etwas gemeinsam zu tun, zu spüren, dass da noch andere sind, ihre Reaktionen zu hören, ihren Applaus oder Missmut … fantastisch.Und die Dankbarkeit, dass wir in dieser Stadt, in (fast) allen Städten, Tempel haben, wo wir Menschen so etwas tun: uns zum gemeinsamen Spielen treffen, zum gemeinsamen Nachdenken, diese Dankbarkeit darüber, die erscheint mir doch erinnernswert, haltenswert. Die ist so schön romantisch und friedlich und verbindend. Da geht einem doch das Herz auf!
Bis dahin.
Ihr HAUSTRONAUT – Philipp Löhle
Ich habe es gerade eben erst gelesen. Vielleicht wissen es einige von Ihnen schon. Ich weiß, die Nachricht ist etwas schockierend, aber Kosmologen haben herausgefunden, dass unser gesamtes Universum – g e s a m t e s U N I V E R S U M!! - endlich ist. Also nicht endlich ist, da ist, sondern endlich ist, es wird enden. Ich meine… Da… Also… ich frage mich jetzt schon, wozu morgens aufstehen, wozu Müll trennen und plastikfreie Seife benutzen, wenn das Universum endlich ist? Die Kosmologen haben nämlich errechnet, seit wann sich das Universum aufbaut. Das kann man herausfinden, indem man die Lichtstrahlen untersucht, die uns noch vom Urknall her erreichen. Seitdem bilden sich Galaxien, bauen sich Sterne auf, verglühen Sonnen. Dabei wurde festgestellt, 90 Prozent des Universums sind schon fertig, wir befinden uns in den letzten 10 Prozent. Und wenn die erstmal durch sind, dann kommt nur noch das Verglühen, das Zu-Ende-Gehen. Alles wird langsam verlöschen. Irgendwann geht die Sonne nicht mehr auf und abends sieht man keinen Sternenhimmel mehr, weil alle Sterne verklungen sind. Oh Mann. Was sollen wir denn dann noch machen? Ins Kino gehen? Ins Theater? Fernsehgucken? Wieso eigentlich nicht. Gerade für Theater ist ja Dunkelheit keine schlechte Ausgangslage. Dann wirkt die Beleuchtung besser. Man müsste sich natürlich gut überlegen, was man dann spielt. Vielleicht eher Komödien als Stücke über Weltuntergänge und Seinsfragen. Am besten wir sammeln schon mal Vorschläge, weil viel Zeit haben wir nicht mehr: In ein paar Billionen von Jahren soll es schon so weit sein!
Bis dahin.
Ihr HAUSTRONAUT – Philipp Löhle
Mal was Privates: Ich habe es getan. Aber nicht alleine. Sondern in der Gruppe. Endlich mal wieder etwas gemeinsam machen! Zusammen mit 813.289 andere Menschen. Ich kenne ihre Namen nicht und ich habe nur ein paar von ihnen selber gesehen, aber wir haben uns gemeinsam dafür eingesetzt, bald wieder ins Theater gehen zu dürfen. Ich kann Ihnen gar nicht sagen, was das für ein erhebendes Gefühl ist. Am liebsten hätte ich YES!!! durchs Wartezimmer gerufen. Oder habe ich das vielleicht sogar getan? Weil ich so glücklich über meine Impfung war, habe ich es jedem und jeder erzählt, die ich getroffen habe. Dem Bäcker, der Kita-Erzieherin, Nachbarn. Und das Tolle war, wie viele von ihnen mir entweder gesagt haben, sie hätten schon einen Termin oder sie seien selbst schon geimpft. Natürlich geht es nicht darum, endlich wieder ins Theater gehen zu können … obwohl: Doch! Genau darum geht es! Und bald sehen wir uns da. Und dann umarme ich ALLE!! Aber keine Angst. Kommen Sie einfach trotzdem.
Bis bald
Ihr HAUSTRONAUT – Philipp Löhle
Wenn man diese Pandemie mal dramaturgisch betrachtet, dann ist das ein Totalversagen. Schon der Anfang. Erst wird Spannung aufgebaut, ein wahnsinniger Suspense, von dem sich dann nichts einlöst. Starre und Reglosigkeit sind jeglicher Action abträglich. Da schlafen alle ein. Dann diese Form: Katastrophe in Zeitlupe. Das ist nicht interessant. Da entstehen nur Längen. Zeitlupe ist kein gutes Stilmittel, wenn eh schon nichts passiert. Dazu werden die dramatischen Spitzen schlecht gesetzt. Letztes Frühjahr war das noch einigermaßen aufregend, wow, leere Straßen, aber dann immer die gleichen Bilder wieder und wieder verwenden? Das wirkt einfallslos. Und man muss interessant bleiben. Wenn die handelnden Personen mal bekannt sind, muss auch was passieren. Da braucht es Konflikte. Social distancing ist einfach nicht theatral genug. Und das Ganze ist viiiieeel zu lange. Muss man auch mal kürzen und nicht immer auf derselben Idee rumreiten.
Also, wir werden (bald) wieder aufmachen und dann zeigen wir der Pandemie mal, wie das richtig geht!
Bis bald
Ihr HAUSTRONAUT – Philipp Löhle
Folgender Vorschlag für gute Unterhaltung – ist ganz einfach und bedarf nur einer Regel. Sie kennen doch so Spiele, bei denen man raus ist, sobald man was falsch macht. Keine Ahnung. Gibt es nicht irgendwas mit einem Wollknäuel und Namen und wenn man den Namen nicht weiß, dann ist man raus?
Jetzt übertragen wir das einfach mal ins Heute: Treffen Sie sich mit Freunden. Ob zum Spazierengehen oder irgendwo im Internet ist egal. Und dann unterhalten Sie sich. Aber: Wenn irgendjemand irgendetwas über dieses vermaledeite alles zuklebende, aktuellste Thema sagt, entweder in dem er oder sie es direkt benennt oder in dem er oder sie mittelbar davon spricht, wie es ihn oder sie beeinflusst, dann… ist er raus! Ist sie raus!
Sie glauben gar nicht, was für interessante Gespräche und Menschen sich unter und hinter diesem derzeitigen Smalltalktabellenführer verstecken. Und plötzlich geht es wieder um uns. Und darum, was wir denken und was wir wollen und was wir für Ziele haben und was für Träume und Ideen, Vorstellungen, Gedanken… Es ist unglaublich. Probieren Sie es aus! Sie werden die ersten Male ziemlich schnell alleine dasitzen, aber mit etwas Übung… wird es fast wie früher. Ach nee, da haben wir ja immer übers Wetter geredet...
Bis bald
Ihr HAUSTRONAUT – Philipp Löhle
Also wir arbeiten auf Hochtouren! Die Theater sind zwar im Moment geschlossen, aber wir sind dran. Tag und Nacht. Und wenn wir wieder aufmachen, präsentieren wir nichts weniger als die gesamte Theaterliteratur der letzten 2021 Jahre. Wir haben mit wissenschaftlicher Unterstützung einiger kluger Köpfe ausgerechnet, dass es möglich ist, unendlich viele Stücke in nur zwei Stunden zu spielen. Man muss nur das folgende Stück immer in halb so viel Zeit spielen, wie das davor. Fangen wir also an mit ANTIGONE, kürzen es aber auf eine Stunde. DAS ERDBEBEN IN CHILI spielen wir in einer 30-Minuten-Schnellsprech-Version. Den Pollesch-Abend kriegen wir sicher auch in einer viertel Stunde hin. Mein neues Stück ISOLA kürzen wir auf knappe sieben Minuten. Tut dem Text vielleicht auch ganz gut. Und die Stücke werden uns auch nicht ausgehen, denn wir sind vorbereitet! Seit Wochen fressen wir den gesamten Kanon in uns rein und wenn es wieder losgeht, lassen wir es krachen.
Ich freue mich schon.
Ihr HAUSTRONAUT – Philipp Löhle
Die größte Sau, die rumläuft, ist der Alltag. Das ist doch wirklich ärgerlich mit welch stoischer Ignoranz dieser Alltag, dieser Hund, einfach immer weitermacht. Ich könnte mich da aufregen. Als ob ihn nicht interessiert, was um ihn herum passiert. Ob mal wieder Lock-down ist oder Schließ-Auf oder ob der Friseur zu hat und das Nagelstudio offen, ob man Theater vor fuffzig Leuten spielt oder gar nicht oder vor 2000. Den Alltag interessiert das nicht. Der macht weiter. Jeden Tag. Klar, man muss essen und schlafen und vor die Tür gehen und mit der Mutter reden und mit den Kindern spielen und von mir aus Steuern zahlen, aber einfach immer weiter machen? Ich meine, irgendwann wird aus jemandem mit einem bewundernswerten Antrieb ein Idiot, der alles mit sich machen lässt. Da muss man aufpassen. Auch als Alltag. Aber wahrscheinlich ist ihm sogar das egal. Ich habe nämlich das Gefühl, er steckt mit der Zeit unter einer Decke. Und wenn die beiden zusammenhalten, wird es relativ schwierig Einfluss zu nehmen.
Bis bald
Ihr HAUSTRONAUT – Philipp Löhle
Jetzt stelle man sich mal vor, es wäre alles ganz fein. Also kein Verrückter, der Amerika regiert. Kein Virus, das uns alle einschränkt und einzwängt. Keine erfrierenden Flüchtlinge, die mit Ausreden in ihrem Elend belassen werden. Es gäbe keine Kriege, nirgends. Ja, nicht mal Leute, die Hunger leiden. Und auch keine bescheuerten Diktatoren, die nicht akzeptieren wollen, wenn ihr Volk die Schnauze voll hat. Und niemand würde aufgrund seines Aussehens schlechter oder anders behandelt als andere. Alle würden Fahrrad fahren und Zug und ihre Autos zu irgendwas Sinnvollem umfunktionieren. Man würde nicht über die Klimakatastrophe als eine Glaubensrichtung sprechen, sondern einfach jetzt und sofort etwas unternehmen. Windräder sind weit weniger hässlich als Autobahnen und Monokulturen. Kurz, alle Probleme wären abgeschafft, aber die Theater wären offen. Dann wüsste man ja fast nicht, womit sich beschäftigen. Oder?
Wir sehen uns!
Ihr HAUSTRONAUT – Philipp Löhle
Und als alles vorbei war, krochen sie aus ihren Löchern hervor, blickten sich vorsichtig um, klopften mit der flachen Hand den Staub von der Hose und lächelten in die Sonne. Einatmen. Ausatmen. Dann eine etwas verklemmte Verabschiedung und das stumme Versprechen, all das als Geheimnis zu behandeln. Sie liefen zurück in ihre Häuser. Öffneten die Türen, aufgeregt wie beim betreten eines Märchenpalastes. Und kaum hatten sie die Schuhe am Welcome Home abgestreift, war schon fast wieder alles wie früher. Nur noch schnell die alten Klamotten im Garten verbrennen, dann duschen, die Haare schneiden und parfümieren. Ja, auch eine Rasur für die Herren und etwas Schmuck für die Damen. Und dann ging es auch schon wieder los. Aber nicht etwa überlegter oder zurückhaltender als zuvor, nein, ganz im Gegenteil, sie bemühten sich sogar noch schneller und eifriger, wilder und zerstörerischer zu sein als jemals. Und wir dachten, na ja, vielleicht lernen sie es ja beim nächsten Mal...
Ihr HAUSTRONAUT – Philipp Löhle
Das Schöne am Autor sein vielleicht am Theater überhaupt ist für mich das Nicht Dazu Gehören ich gehe nicht in Büros ich schreibe über Büros ich verändere nicht die Welt ich schreibe über die Schwierigkeit die Welt zu verändern Ein Leben als Metaanalyse wenn man so will Ich verstehe das auch als meine Aufgabe als Theatermensch als Theater als Autor Wir gucken von Außen auf die Geschehnisse auf die Gesellschaft wie man immer sagt und sezieren menschliches Verhalten Ich Sie Wir alle sind mein Untersuchungsgegenstand Ich habe jetzt gelernt wir sind nicht systemrelevant Uns braucht es nicht zum Überleben und ich glaube auch ein Stück weit ist da was dran aber auf die Dauer fehlt einer Gesellschaft der analysierende diskursive gedankliche Schubser wie ihn nur ein Theaterabend live vor Publikum geben kann Wenn man so will sind wir die Satzzeichen Klar man kann einen Text auch ohne Satzzeichen verstehen aber mit ist es doch bedeutend einfacher Ordnung in die Wörter zu bringen Punkt
Bis bald im Theater
Ihr HAUSTRONAUT – Philipp Löhle
Neulich wollte ich in mein Hotelzimmer einchecken, aber der Mann an der Rezeption sagt, ich sei schon da. Er zeigt mir sogar meine Unterschrift auf dem Anmeldebogen. Aha. Ob ich trotzdem in mein Zimmer könne, frag ich. Der Mann sagt wie selbstverständlich selbstverständlich. Also gehe ich zu meinem Zimmer, klopfe und tatsächlich: ich öffne. Hallo sage ich. Und Hallo antworte ich. Ob ich reinkommen könne, frage ich mich selbst, nicke mir zu und betrete das Zimmer. Lange nicht mehr gesehen, sage ich und grinse doof. Dabei ist das eigentlich genau mein Humor. Ich müsse sowieso gleich wieder los, sage ich, ins Theater, dann könne ich das Zimmer für mich alleine haben. Ich muss auch los, sagt mein Gegenüber. Als ich spät nachts ins Zimmer schleiche, bin ich schon da und schlafe bereits tief und fest. Ich lege mich dazu und freue mich schon, dass ich nicht alleine bin, wenn ich aufwache... Man sollte mehr Zeit mit sich selbst verbringen ...
Wir sehen uns
Ihr HAUSTRONAUT – Philipp Löhle
Da ist gerade ein Film im Kino von dem alle schwärmen, weil er so aussieht, als wäre er in einer Einstellung gedreht. Es heißt, man habe wochenlang geprobt, damit alles reibungslos laufe und der Zuschauer zwei Stunden durchgängig, ohne Schnitt, also ohne Pause, den Figuren folgen kann. Immer wieder mal gibt es solche Filme, wie Hitchcocks „Cocktail für eine Leiche“ oder Sebastian Schippers „Victoria“, die dann, weil technisch faszinierend, zum Meisterwerk erklärt werden. Ich will gar nicht sagen, diese Filme seien nicht gut, ganz im Gegenteil, aber ist es nicht seltsam, wie man sie für etwas bewundert, was im Theater zum Alltag gehört? Wochenlange Proben, aufwändige Vorbereitungen, exakte technische Planung und am Ende: Zwei Stunden eine Einstellung (sogar statisch frontal!), und alles muss auf den Punkt geprobt sein, jeder Beteiligte muss wissen, was er wann zu tun hat, damit alles ganz natürlich ineinandergreift und bestenfalls gelingt!
Wir sehen uns im Theater
Ihr HAUSTRONAUT – Philipp Löhle
Also lange wird das nicht mehr dauern. Mit diesem Internet. Man schaue sich nur mal die VHS-Kassette an. Wie lange hat es die gegeben? Von 1976 bis 2008. Also circa 30 Jahre. Seit 2000 etwa gab es auch noch DVDs. Dazu kamen in den 10er Jahren die Blue-Rays. Aber selbst Blue-Rays sind seit 2015 im Verkauf rückläufig. Und kann sich noch jemand an CDs erinnern? Oder an Musikkassetten? Eben. Alles Firlefanz. Alles Modeerscheinungen. Wie der Herrenrock. Der Herrenrock ist noch lächer-licher als die VHS-Kassette, weil der konnte sich nicht mal richtig etablieren, bevor er schon wieder verschwunden war. Und deshalb wird auch das Internet keine Zukunft haben. Das wird irgendwann von irgendwas anderem abgelöst, was dann auch wieder verschwindet usw. Das ist einfach alles zu wenig haptisch. Zu wenig echt. Zu wenig lebendig. Deshalb ist das Theater nicht tot zu kriegen. Seit 2000 Jahren nicht: Weil da echte Menschen sind, die sich jeden Abend hinstellen, um vor anderen Menschen so zu tun, als wären sie jemand anderer!
Wir sehen uns im Theater
Ihr HAUSTRONAUT – Philipp Löhle
Tiere haben es gut. Sie sind keine Menschen. Das heißt zwar, sie können nicht lachen, aber sie müssen auch nicht Whatsapps schreiben. Außerdem schützt sie ihre (von uns als schlicht bezeichnete) Geistesverfassung davor, sich gegenseitig auszurotten. Und noch besser: Kein Tier wäre je so doof, wissentlich in sein eigenes Unglück zu rennen. Im Theater finden wir solche Menschen sogar faszinierend und nennen sie Helden. Wobei erstens Helden immer selber davon ausgehen, dass sie es schon schaffen werden und nur die Zuschauer wissen, dass das nix wird. #tragischerHeld. Und zweitens kämpft doch der Held für etwas Gutes, wohingegen der Normalbürger raucht und säuft und mit dem SUV zum Briefkasten fährt und in den Urlaub fliegt und gegen Windanlagen demonstriert und Kohlekraftwerke subventioniert und Bahnfahren zu teuer macht und alles in Plastik verpackt und mit Antibiotika vollspritzt und Impfen ablehnt …
und bei all dem auch noch weiß, wie selbstzer¬störerisch das ist.
Ihr HAUSTRONAUT – Philipp Löhle
Alle reden vom Klima. Und seiner Rettung. Das muss aber die Politik machen. Ja! Ich habe schon ein paar mal gelesen, dass der Einzelne gar nichts ausrichten kann, weil der persönliche Verzicht auf Flüge, SUV oder Plastikschrott zwar was bringt, aber keine große Wirkung hat. Das ist natürlich irre. Ist ja ein Freifahrtschein, sich aus der Verantwortung zu stehlen: „Ich bin viel zu klein, um etwas auszurichten.“ Neulich waren wir fürs Staatstheater sieben (!) Tage in China. Das heißt zweimal Langstrecke. Für sieben Tage!? Vor Ort sind wir noch drei Mal geflogen, weil China so groß ist. Beinahe hätte ich ein schlechtes Gewissen bekommen und mich gefragt, ob das wirklich sein muss, fünf (5!) Mal fliegen in zehn Tagen. Aber jetzt weiß ich ja, der Verzicht auf diese Reise hätte der Umwelt kaum geholfen und mir und den beiden anderen unbezahlbare Eindrücke verwehrt. Na dann. Kann ich ja auch weiterhin mit dem Auto zum Briefkasten fahren!
Ihr HAUSTRONAUT – Philipp Löhle
Ich möchte mich ganz herzlich bei Ihnen bedanken. Ich habe ja angeboten in den Sommerferien Texte am Telefon vorzulesen, um uns gegenseitig über die Durststrecke der Schließzeit zu helfen. Ehrlich gesagt, hätte ich gar nicht damit gerechnet, dass überhaupt jemand anruft. Ich war dann wirklich erstaunt über die zahlreichen Telefonate, die ich führen durfte. Und es blieb ja nicht nur bei den vorgelesenen Texten. Oft haben sich daraus lange Gespräche entwickelt. Intensiv, kontrovers, ausführlich. Da ich mitten in der Arbeit an meinem neuen Text ANDI EUROPÄER steckte, war es natürlich eine gute Gelegenheit, mir auch direkt bei den zukünftigen Zuschauern erstes Feedback zu holen. Danke dafür. Ich bin wirklich zufrieden mit dem Ergebnis. Und während Sie diesen Text hier lesen, haben die Proben schon begonnen und Ende Januar können wir uns anschauen, was auf der Bühne daraus geworden ist. Ich freue mich schon auf Ihre Kommentare!
Mit freundlichen Grüßen
Ihr HAUSTRONAUT – Philipp Löhle
Sehr geehrte Damen und Herren,
Gleichberechtigung schön und gut, aber so lange wir nicht grundlegend unser Denken von all dem Männlichkeitsballast befreien, werden wir nie etwas erreichen. Jedes zweite Wort versteckt in unserem Unterbewusstsein kleine Männlichkeitshaken, die unser ganzes Denken durchdringen, und alles Weibliche von uns schieben oder zumindest herabsetzen. Fangen wir also ganz vorne an: Das Staatstheater heißt ab jetzt Staatstheatsie. Die dazugehörige Stadt nennen wir nicht mehr Nürnberg, sondern Nürnbsieg. Sondern folgerichtig … folgsierichtig sondsien. Merken, also: Msieken Sie schon, wie Sie gleich viel weiblicher … weiblichsie denken? Friedlicher auch. Also: friedlichsie. Siestmal wsieden Sie sich wundsien, wegen dsie vsiedrehten Wörtsie, absie mit dsie Zeit wsieden Sie sich wohsie fühlen als vordame. Und um allsie Gsieechtigkeit Genüge zu tun, drehen wir den Spieß natürlich auch um: Phantasie heißt ab jetzt Phantaer!
Mit freundlichen Grüßen
Dsie HAUSTRONAUT – Philipp Löhle
Es ist doch so: Man kann nicht wo reinschauen, solange man selber drin steckt. Man muss von außen kommen, um rein zuschauen. Was auch für Überblick sorgt. Und vielleicht kann man dann sogar die Sache(n) in einem größeren Zusammenhang überhaupt begreifen. Also zum Beispiel, wenn ich woanders hinfahre - anderes Land, andere Leute, anderes Klima, andere Kultur - wird mir ja erst bewusst, wie ich selber funktioniere. Was mir wichtig ist. Was ich mag. Was ich unbedingt brauche, um klar zu kommen. Hätte ich aber gar nicht gemerkt, wenn ich nicht weggefahren wäre, um wieder heim zu kommen. Also praktisch, nicht der Weg ist das Ziel, sondern das Weg-gewesen-sein. Weil das Reflexion ermöglicht. Eigentlich ein bisschen wie Theater, wo man ja auch mit jedem Theaterabend eine kurze Zeit in einer anderen Realität verbringt, um dadurch auf sich selbst zurückgeworfen zu werden und sich mal kurz, für ein, zwei Stunden wie einen Fremden von außen zu betrachten. Also Theater als Urlaub vom eigenen Selbst.
Ihr HAUSTRONAUT – Philipp Löhle
Urlaubsgrüße bitte an: haustronaut@staatstheater-nuernberg.de
Also gut, jetzt ist dann Sommer. Das heißt, das Theater ist erstmal zu. Keine Vorstellungen. Keine Schauspieler*innen. Keine Kunst. Keine neuen Stücke. Keine neuen Projekte. Keine Premieren. Keine spontanen Events in der 3. Etage. Überhaupt: Keine 3. Etage! Das ist natürlich furchtbar und ich höre Ihr Stöhnen, während Sie am Baggersee liegen (oder am Mittelmeer) und soo gerne etwas Theater hätten. Und wenn schon kein richtiges Theater, dann wenigstens etwas Text. Ha haa! Und jetzt komme ich. Denn ich bin ja nicht umsonst Haustronaut am Staatstheater Nürnberg. Nein, ich sehe es sogar regelrecht als meine Pflicht an, Sie, liebes Publikum, über die theatrale Durststrecke der Sommerpause zu retten. Daher habe ich mir überlegt, ich gebe Ihnen einfach meine Telefonnummer durch, und wenn Sie Sehnsucht nach etwas Text haben, dann rufen Sie mich an. Ich lese Ihnen was vor. Ist natürlich kein richtiges Theater, aber immerhin von mir. Und exklusiv.
Bis dann.
Ihr HAUSTRONAUT – Philipp Löhle
Tel.: 0151-57 82 90 53
Wir wollen ja immer ganz viel Welt ins Theater bringen und da scheuen wir keine Kosten und Mühen. Deshalb habe ich, Haustronaut des Staatstheaters Nürnberg, mich auf den Weg ins wilde Mexiko gemacht, wo ich mich nun seit Anfang April umsehe. Ganz im Geiste Alexander von Humboldts werde ich nicht nur ein Herbarium anlegen, sowie einige wilde Tiere einfangen, beschreiben und aufessen, sondern auch versuchen, mit Einheimischen, wenn nicht gar Eingeborenen ins Gespräch zu kommen. Resultate dieser Gespräche möchte ich gerne am 24. Mai via Live-Schalte in die 3. Etage übertragen. Ich kann zwar noch nicht sagen, wo ich da sein werde und was ich da mache, aber das ist doch das Interessante an der Zukunft, dass man sie nicht kennt. Ich würde mich freuen, wenn Sie auch kommen.
Ihr HAUSTRONAUT – Philipp Löhle
Hinweise zu Mexiko, sowie Reisetipps richten Sie bitte an:
haustronaut@staatstheater-nuernberg.de
Sehr geehrte Damen und Herren. Ich brauche Ihre Hilfe. Mir ist eine Figur abhanden gekommen. Eben war sie noch da, jetzt ist sie weg, dabei habe ich sie doch extra fürs Theater erfunden –
und jetzt gleich wieder verloren. Es handelt sich um den 23-jährigen Marc Henske, wohnhaft in Hamburg. Dorthin habe ich ihn mir ausgedacht, als verliebten, kinderlosen, energie-geladenen, fröhlichen Angestellten. Ich weiß nicht genau, was er arbeitet, es könnte so etwas wie Software-Entwickler sein, aber auch etwas weniger oder mehr Aufregendes. Seine derzeitige Freundin sagt, er wurde an einem Freitag von seiner Mutter abgeholt und kam sonntags ziemlich verstört wieder zurück. Da die beiden nicht zusammen wohnen, hat sie es vorgezogen, ihm etwas Abstand zu gönnen. Seitdem ist er wie vom Erdboden verschluckt. Falls Sie ihn also irgendwo sehen, lassen Sie es mich doch bitte wissen. Ich danke es Ihnen auch mit zwei Theaterkarten Ihrer Wahl.
Ihr HAUSTRONAUT – Philipp Löhle
Hinweise zur gesuchten Person richten Sie bitte an:
haustronaut@staatstheater-nuernberg.de
Warum sind auf alten Gemälden die Burgen auch schon Ruinen? Kann man mit einem Deinstallationsprogramm auch das Deinstallationsprogramm deinstallieren? Wenn Remus Romulus erschlagen hätte, hieße dann Rom heute Rem? Warum bedanken sich Fußgänger, wenn am Zebrastreifen ein Auto für sie hält? Warum benutzen nur die Bösen die sozialen Medien für sich, warum nicht auch die Guten? Ist die Steinzeit an den Steinen gescheitert oder an der Zeit? Sollte man beim Maßhalten auch maßhalten? (Das Maß, nicht die Mass). Was macht man mit einer Glühbirne, die nur manchmal geht? Behalten oder wegwerfen? Warum bewegen sich die Zeiger einer Uhr nur, während man nicht hinschaut? Was macht man mit dem Ehering nach der Scheidung? Warum haben die Araber so geniale Zahlen erfunden und so umständliche Buchstaben und warum die Römer genau umgekehrt? Wo kommt unterm Ventilator eigentlich der Wind an? Warum ist ein Nürnberger Würstchen, das 29 Gramm wiegt, kein Nürnberger Würstchen mehr?
UAwg
Ihr HAUSTRONAUT – Philipp Löhle
Es geht doch immer um Effizienz und Sparsamkeit, auch in der Sprache, und mir ist aufgefallen, dass ich sehr selten die Buchstaben X und Y verwende, weshalb ich beschlossen habe, in Zukunft ganz darauf zu verzichten, auch das F scheint mir überbewertet, da es mit Leichtigkeit durch V ersetzt werden kann, und so gesehen kann natürlich auch das C für alle Zetts stehen – wir erinnern uns an die historische Schreibweise von Centrum – womit wir also schon vier Buchstaben entlassen hätten, ganz zu schweigen von den vielen Umlauten und ihrer elitären Sonderstellung, gerade in Ceiten des Internets ceigen sie ihre volle Unbrauchbarkeit,
GLOBALISIERUNGSUNTAUGLICH, weg damit, uebers scharve S muessen wir erst gar nicht reden, das schavvt sich selbst ab, ebenso ale Dopelkonsonanten, manierierter Unsin, oder grosbuchstaben, wocu? als ob die leute nur lesen koenten, wen ab und cu ein buchstabe grosgeschrieben wird? unvasbar wie viel platc man dadurch gewint, mehr invo in weniger ceichen war nie! Ud wn wr dn nch d vkl wglsn nd l pnkt nd kms nd vrgcchn...WHNSN!!!
hr hstrnt phlp lhl
Wie Sie wahrscheinlich wissen, gibt es sogenannte Anti-Bell-Halsbänder. Das sind Geräte, die man Hunden um den Hals schnallt, damit sie nicht ständig bellen. Zum Beispiel Hunden, die durchdrehen, wenn sie Radfahrer sehen, oder Hunden, die einfach so ununterbrochen kläffen, weil sie halt ununterbrochen kläffen. Denen legt man so ein Collier an und das schickt im Moment des Bellens einen Stromschlag an den Hals (der Hersteller nennt es Vibration) oder Zitronenduft in die Nase oder einen Ultraschallton ins Ohr. Dadurch werden die Hunde angeblich schnell zu ruhigen, angenehmen Artgenossen. Die Tiere tun mir zwar leid, aber die Idee des Anti-Bell-Halsbandes finde ich gar nicht so schlecht. Wenn man sich vorstellt, man könnte Menschen, die Stumpfsinn verzapfen, eine Krawatte anlegen, die ihnen bei jeder blöden Bemerkung einen Stromschlag an den Hals schickt ... Also ich hätte da ein paar Vorschläge ... Aber vielleicht will dann niemand mehr in die Politik ... Au!
Ihr HAUSTRONAUT – Philipp Löhle
Also, letzte Woche war ich in Turin, weil dort mein Stück KOLLAPS in einer szenischen Lesung vorgestellt wurde. 2015 hat es JP Gloger in Wiesbaden uraufgeführt. Jetzt, drei Jahre später, trifft der Text plötzlich einen Nerv in Italien, weil sich die im Stück durch einen vermeintlichen Weltuntergang ausgelösten gesellschaftlichen Aggressionen in der aktuellen politischen Lage Italiens wiederfinden. Da steht man als Autor natürlich staunend nebendran und wundert sich, wie so ein Text ein vom Schreiber komplett abgelöstes Eigenleben führt. Gewissermaßen schreibt sich das Stück selbst um, indem es, in einen anderen Kontext gestellt, plötzlich (Be)Deutungen, Anspielungen, Verweise zulässt, die beim Schreiben nicht mal zu erahnen waren. Und für alle, die sich schon seit Schulzeiten fragen, ob der Autor wirklich all diese Bezüge beim Schreiben verstanden hat: Nein, hat er nicht. Ich jedenfalls nicht. Meine Texte sind auf jeden Fall alle sehr viel klüger als ihr Verfasser.
Ihr HAUSTRONAUT – Philipp Löhle
Es ist doch immer wieder ein tolles Spiel, ein Wort so lange zu wiederholen, bis es verschwimmt und völlig zerfasert, sich auflöst, in seine Einzelteile, in völlig abstrakte Klänge, zerfällt und irgendwann ist das Wort weg, gerade weil es so vorrangig und drängend ständig da ist, es verschwindet und nimmt seine Bedeutung mit und wenn ich mir das Theater so anschaue, also das Theater an sich, dann ist es doch ähnlich, wie so ein Wort, weil das Theater ja auch aus einer nie endenden Wiederholung besteht, seine Perfektion sogar in der bestmöglichen Wiederholung sucht, im Nochmalgenausomachenwieeben, wobei es, wie so ein Wort, sich im Wiederholen ständig ändert, mal vor- mal zurückentwickelt, also durchweg scheitert und eben genau nicht Dasselbe erneut herzustellen gelingt und jetzt frage ich mich, ob dann das Theater durch all seine ständige Wiederholung auch irgendwann verschwindet, ob es auch im Bemühen zu existieren sich auflöst?
Ihr HAUSTRONAUT – Philipp Löhle
Die Wahrheit ist Fragment geblieben und wir wissen es, was uns aber nicht klüger macht, obwohl man eigentlich davon ausgehen müsste, dass Wissen klüger macht, weil Dummheit im Allgemeinen aus Nichtwissen besteht und sogar eine Form von Unschuld in sich trägt, insofern also eine Vorstufe zum Wissen (und der Schuld?) ist und Wissen kann in einigen Fällen sogar zu Wissen über die Wahrheit führen (noch mehr Schuld), da diese aber wie eingangs erwähnt im Fragment stecken geblieben ist – was sie mit Büchner, Kafka oder David Foster Wallace verbindet – bringt uns das Wissen gar nicht näher an die Wahrheit heran, sondern nur stärker in die Wahrheit hinein und in das ganze Durcheinander, das damit einhergeht, weshalb wir irgendwann mit all unserem Wissen inmitten der Wahrheit stehen und vor lauter Bäumen den Wald nicht mehr sehen und nicht anders können als zu dem Schluss zu kommen, dumm zu sein, was eine gewisse Erleichterung mit sich bringt, wenn da nicht dieser Rest Wissen übrig wäre - Verdammt!
Ihr HAUSTRONAUT – Philipp Löhle
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