Die Fortsetzung von „Manon“: Massenets Sequel floppt in Paris
Auch wer die oft süßlichen französischen Opern des späten 19. Jahrhunderts nicht liebt, kann sich dem Zauber von „Manon“ nur schwer entziehen. Jules Massenet hat es hier mithilfe der unsterblichen Geschichte des Abbé Prevost geschafft, das ergreifende und unkitschige Bild eines jungen Mannes zu zeichnen, der sich in einen „amour fou“ zu einer faszinierenden jungen Frau verrennt. Massenet hat wunderbare Partien geschaffen, den Tenor Des Grieux, seinen unerbittlichen Vater, den Chevalier, und natürlich Manon, deren heller Sopran die Oper überstrahlt. Mit diesem Stück gewann Massenet 1884 die Ohren und Herzen seiner Landsleute – und aktuell die des Nürnberger Publikums.
Kein Wunder, dass der erfolgshungrige Massenet auf die Idee kam, den guten Namen seines Werks für eine Fortsetzung zu nutzen. Schließlich hat nicht erst Hollywood das „Sequel“ erfunden! Zehn Jahre nach „Manon“ schrieb er auf ein Libretto von Georges Broyer den Einakter „Le Portrait de Manon“ („Manons Porträt“). Darin treffen wir den einst so heißblütigen Des Grieux wieder. Inzwischen ist er etwa 50 Jahre alt, vom Tenor zum Bariton herabgesunken, hat den Titel eines Chevalier von seinem Vater übernommen und lebt zurückgezogen in einem Schloss auf dem Land. Die Erinnerung an Manon lässt ihn nicht los; der Liebe hat er für immer abgeschworen. Seine Einsamkeit teilt Jean, ein junger Mann von 18 Jahren, gesungen von einer Mezzosopranistin. Er ist der Sohn eines verstorbenen Freundes, Des Grieux hat ihn an Kindes Statt angenommen. Jean liebt Aurore, das Pflegekind von Des Grieux’ Nachbarn und Freund Tiberge. Der Wiederholungszwang ist offensichtlich: Als Jean dem Adoptivvater von seiner Geliebten erzählt, merkt Des Grieux, dass er damals zu seinem Vater genauso von Manon gesprochen hat. Und wie der Vater ihm selbst verbietet er Jean die Heirat mit dem Hinweis, Aurore sei keine standesgemäße Verbindung.
Nach tränenreichen Verwicklungen werden die beiden Jungen doch noch ein Paar, denn Aurore gleicht dem Porträt aufs Haar, das Des Grieux von Manon besitzt. Tiberge enthüllt, es handle sich bei ihr um die Tochter von Manons Bruder, also ihre Nichte – da kann auch Des Grieux nicht mehr Nein sagen, auch wenn er Jean die Fallstricke der Liebe lieber erspart hätte.
In seinen redseligen Memoiren erwähnt Massenet „Le Portrait de Manon“ nur mit ein paar Sätzen, bezeichnet den 45-minütigen Einakter als „distraction exquise“, als „exquisite Zerstreuung“. Seine Biografin und weitläufige Verwandte Anne Massenet schrieb über das Stück: „Die Behandlung des Themas und der lebendige und leichte Esprit dieser Opéra-comique lassen uns bedauern, dass wir diese hübsche Geschichte nicht öfter hören können – wie manche sie mit gewisser Verachtung nennen. Ein Werk, das unter seiner Leichtigkeit ein großes Können verbirgt und das mehr verdient hätte als ein schnell hingeworfenes Urteil.“
Hilft nichts. Die Uraufführung am 8. Mai 1894 Paris wird freundlich aufgenommen, oft nachgespielt wird die Oper nicht. Dazu ist sie, obwohl musikalisch gelungen, als Nachfolgerin der großen „Manon“ wohl doch zu leichtgewichtig.
Text: Dr. Georg Holzer, Creative Commons CC-BY-SA
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